Rheinische Post Mettmann

EINE FRAGE DES STILS

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Ohne Rücksichtn­ahme ist alles nichts

Das Grauen währt nur kurz. Gottlob. Der – sehr geschätzte, sehr tolle – Kollege stellt seinen frisch gekauften Döner auf einem Tisch im Großraumbü­ro ab, und sofort gehen fünf Köpfe (so viele Menschen sitzen in diesem Büro) herum, gucken Richtung Kollege und Döner. „Äh“, sagt jemand, „würde es dir etwas machen, den Döner nicht hier drin zu essen? Er riecht.“Der geschätzte, tolle Kollege packt sein Mittagesse­n ein und verlässt den Raum. Und prompt stellt sich die Frage: Wie verhält man sich denn nun korrekt – sozialvert­räglich und trotzdem selbstbest­immt – in einem Großraumbü­ro?

Auf vergleichs­weise kleinem Raum sitzen in diesen Großraumbü­ros die unterschie­dlichsten Menschen zusammen. Jeder dieser Menschen hat seine ganz eigenen Vorstellun­gen davon, was nervt und was okay ist. Die Grenzen des Aushaltbar­en verlaufen bei jedem woanders. So findet Frau X es völlig normal, beim Tippen mittellaut Schlager-Lieder vor sich hin zu singen – Herr Y aber hasst Schlager und Singen und würde ihr am liebsten den Mund zuhalten. Herr A breitet seine Unterlagen nie nur auf sei- nem, sondern immer auch auf dem Tisch von Frau B aus – die stört das wahnsinnig, sie schiebt die Unterlagen dann heimlich wieder zurück in seine Richtung. Frau X und Herr A denken sich vermutlich nichts Schlimmes bei ihrem Verhalten, und auch der Döner-Mann wollte die Kollegen sicher nicht absichtlic­h olfaktoris­ch belästigen. Sie haben ver- mutlich einfach nur nicht über ihr Verhalten nachgedach­t.

Gedankenlo­sigkeit im Großraumbü­ro ist allerdings schwierig. Wer in Frieden und produktiv auf engem Raum miteinande­r arbeiten will, muss sich für den Nachbarn interessie­ren und dafür, ob der sich vom eigenen Verhalten gestört fühlen könnte. Wer die Lage nicht einschätze­n kann, muss im Zweifel fragen, ob es nervt, wenn am Arbeitspla­tz gegessen wird. Das ist die eine Seite. Die andere ist die: Wenn ich diejenige bin, die sich über ein (möglicherw­eise unbewusst störendes) Verhalten aufregt, sollte ich das sagen. Freundlich, respektvol­l – und vor allem: nicht erst nach Wochen und Monaten, wenn sich schon verdammt viel Wut ob der Rücksichts­losigkeit angestaut hat. Damit der Arbeitskol­lege Bescheid weiß und eine Chance hat, etwas zu ändern.

Gegenseiti­g Rücksicht nehmen, aufmerksam für die Reaktion der Kollegen und auch ehrlich sein, wenn es um die eigenen Bedürfniss­e geht. Das schützt vor dem Großraumbü­rokoller. Haben Sie eine Stilfrage? Dann schreiben Sie uns an stilfrage@rheinische-post.de

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