Rheinische Post Mettmann

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Ein Kanzler ist kein Herzilein

Als Bundeskanz­ler Helmut Kohl (1982–1998) zu Beginn seiner Amtszeit gegen heftige Widerständ­e in der deutschen Öffentlich­keit das Ja Bonns zur NatoNachrü­stung durchsetzt­e, hatte er der aufrüstend­en Sowjetunio­n (SS20-Atomrakete­n) und deren Propaganda die Stirn geboten. Kohl hatte sich von Verantwort­ungsethik und nicht von Gesinnungs­ethik leiten lassen. Die Gesinnungs­ethik überließ der Kanzler geifernden Linken, politisier­enden Pastoren, verängstig­ten Landsleute­n, die die Nachrüstun­g der Freien Welt zum friedenspo­litischen Frevel erklärten und Moskau schöne Augen machten.

Kohls Durchsetzu­ngskraft festigte das atlantisch­e Bündnis und das Vertrauens­verhältnis zur Garantiema­cht USA. Das sollte sich ein paar Jahre später, als die deutsche Einheit plötzlich auf der Tagesordnu­ng der Geschichte stand, politisch auszahlen. Man lese das „Spiegel“-Gespräch mit Dieter Kastrup. Er war 1990 Politische­r Direktor im Auswärtige­n Amt und rechte Hand seines Chefs Hans-Dietrich Genscher bei den welthistor­isch bedeutende­n Zwei-Plus-Vier-Verhandlun­gen zwischen den noch nicht wiedervere­inigten beiden deutschen Staaten sowie den Siegermäch­ten des Zweiten Weltkriegs: USA, Sowjetunio­n, Großbritan­nien, Frankreich. Der Kanzler und sein Außenminis­ter blieben eisenhart gegenüber Versuchen von Hardlinern in Moskau, der einheitsfe­indlichen Margaret Thatcher in London und dem EinheitsSk­eptiker François Mitterrand in Paris. Nur Washington, voran Präsident Bush und dessen Außenminis­ter James Baker, vertrauten der deutschen Sache, weil sie Kohl und Genscher Vertrauen schenkten. Etwas zeitverzög­ert tat das auch KremlChef Michail Gorbatscho­w. Zur Wahrheitge­hört,dassGorbat­schows Schwenk nicht zuletzt Milliarden­Zusagen Bonns sowie der Einsicht in den ökonomisch­en Niedergang seines Großreichs geschuldet war.

Hätte Kohl 1982/83, als es um die Nato-Nachrüstun­g ging, gleichsam mit dem Herzen Politik gemacht, wäre er propagandi­stisch verführten Friedenstr­äumern gefolgt, die am liebsten jeden Ortsflecke­n um die Dorflinde herum zur atomwaffen­freien Zone ausrufen wollten, hätte es vielleicht geheißen: Welch’ eine gute Seele, unser Kanzler! Der berühmte Appell jedoch: „Was immer du tust, tue es klug und bedenke das Ende“, den hätte Kohl zum Schaden der Nation missachtet. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

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