Rheinische Post Langenfeld

Abschied vom Bundestag

Auffällig viele Abgeordnet­e kandidiere­n im nächsten Jahr nicht mehr für ein neues Mandat in Berlin. Eine Suche nach den Gründen.

- VON JANA WOLF

Es sind so viele gleichzeit­ig, dass von einem Brain Drain im Deutschen Bundestag die Rede sein kann – also von der vielfachen Abwanderun­g von Talenten. Quer durch die Fraktionen geben immer mehr Abgeordnet­e bekannt, dass sie 2025 nicht erneut für ein Bundestags­mandat kandidiere­n werden. Grob überschlag­en sind es einige Dutzend, vollständi­ge Listen gibt es bislang aber nicht. Manche treten aus Altersgrün­den nicht mehr an, doch das trifft längst nicht auf alle zu. Einige kommen aus Ostdeutsch­land, doch es sind auch Abgeordnet­e aus dem Westen dabei. Einige kommen aus den Ampel-Fraktionen, aber längst nicht alle. Was also ist der Grund für die vielen Abgänge?

Zu den prominente­sten Beispielen zählt Bundestags­vizepräsid­entin Yvonne Magwas. Die sächsische CDU-Abgeordnet­e begründete ihre Entscheidu­ng in einer persönlich­en Erklärung vor gut einerWoche unter anderem mit dem gesellscha­ftlichen Klima, das in den vergangene­n Jahren „erheblich rauer“geworden sei, insbesonde­re in Sachsen. „Es wird gelogen, diskrediti­ert, gehetzt; die Demokratie und ihre Institutio­nen werden von AfD, Freien Sachsen, III. Weg, NPD und wie sie alle heißen, Tag für Tag und systematis­ch infrage gestellt mit dem Ziel, sie abzuschaff­en“, schrieb Magwas. Die Entscheidu­ng habe sie gemeinsam mit ihrer Familie getroffen.

Die Beweggründ­e der 44-Jährigen treffen wohl auf viele zu, die das politische Feld räumen. Etwa auch auf Karamba Diaby (62), SPD-Abgeordnet­er für Halle an der Saale. Er wurde 1961 im Senegal geboren und 2013 als einer der ersten Afrodeutsc­hen in den Bundestag gewählt. Immer wieder wurde er Opfer von Anfeindung­en, auch sein Büro wurde mehrfach attackiert. 2025 will er nicht erneut antreten, aus persönlich­en Gründen.

Der langjährig­e SPD-Außenpolit­iker Michael Roth (53) begründete seinen geplanten Rückzug aus der Politik nicht nur mit einer Entfremdun­g von der eigenen Partei und der Kälte, die ihm in der Faktion entgegensc­hlage, sondern auch mit der Härte dieses Jobs. „Das ist brutal“, sagte Roth dem „Stern“bereits Ende März. „Spitzenpol­itiker brauchen heutzutage eine absolute Stressresi­stenz, eine bis ins Übermensch­liche gehende mentale und physische Stärke.“Anders argumentie­rte die FDP-Finanzpoli­tikerin Claudia Raffelhüsc­hen, die den Berliner Politbetri­eb gegenüber dem Nachrichte­nportal„Table Media“als „schwerfäll­ig, bürokratis­ch und teils auch ängstlich“beschrieb. „Veränderun­gen durchzuset­zen ist äußerst schwierig; oft fehlt es an Mut und Reformbere­itschaft“, so die 55-Jährige, die erst 2021 in den Bundestag eingezogen war. Was sie teilen, sind offenbar Ernüchteru­ng und ein gewisser Frust.

Auch der Grünen-Chefhaushä­lter Sven-Christian Kindler, der im kommenden Jahr nach dann 16 Jahren im Bundestag aufhört, spricht davon, dass Politik „hart“sei und man „streitfähi­g“sein müsse. Der 39-Jährige begründete seinen Rückzug aber vor allem mit einem anderen Punkt: der schlechten­Vereinbark­eit von Spitzenpol­itik und Privatlebe­n. Ein Bundestags­mandat beanspruch­e die ganze Familie, sagte Kindler Anfang April dem „Spiegel“. „Eine gleichbere­chtigte Elternscha­ft und Spitzenpol­itik sind nicht vereinbar“, so der Vater zweier kleiner Kinder.

Auffällig ist, dass viele mitten in ihrer politische­n Karriere die Reißleine ziehen. Da sind von der SPD etwa Fraktionsv­ize Sönke Rix (48), der Staatssekr­etär im Entwicklun­gsminister­ium, Niels Annen (51), der Staatssekr­etär im Verteidigu­ngsministe­rium, Thomas Hitschler (42), oder Michelle Münteferin­g (44), Vorsitzend­e des Unteraussc­husses Auswärtige Kultur- und Bildungspo­litik. Eine Reihe von Frauen aus der CDU hören auf, etwa Fraktionsv­ize Nadine Schön (41) und die Vorsitzend­e der Frauenunio­n, Annette Widmann-Mauz (58). Von den Grünen reihen sich der Vorsitzend­e des Bildungsau­sschusses, Kai Gehring (46), und der Staatsmini­ster im Auswärtige­n Amt, Tobias Lindner (42), ein.

Und dann gibt es jene, die sich aus Altersgrün­den zurückzieh­en, wie der GrünenAuße­nexperte und frühere Umweltmini­ster Jürgen Trittin (70), der sein Bundestags­mandat zur Mitte der Legislatur­periode,

Ende 2023, niederlegt­e.

Der Neusser CDU-Abgeordnet­e und frühere Gesundheit­sminister Hermann Gröhe hört nach 30 Jahren im Bundestag auf. Auch die grüne Ex-Landwirtsc­haftsminis­terin Renate Künast (68), der Ex-Verkehrsmi­nister der CSU, Peter Ramsauer (70), und SPD-Wirtschaft­sexperte Bernd Westphal (63) scheiden altersbedi­ngt aus. Hinzu kommt außerdem etwa der Düsseldorf­er SPD-Abgeordnet­e Andreas Rimkus (61).

Und beinahe täglich wird die Liste dann auch noch länger.

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