Saudischer Kronprinz will „neue Kaaba“
400 Meter hoch, breit und tief: Die Hauptstadt Riad soll durch das Bauwerk umgestaltet werden. Mohammed bin Salman plant ein Unterhaltungszentrum mit Holografien und 360-Grad-Kino. Doch das Projekt stößt auf Kritik.
400 Meter hoch ist das neue Lieblingsprojekt von Saudi-Arabiens Thronfolger Mohammed bin Salman. Der Kronprinz plant in Riad, der Hauptstadt des Wüstenstaates, ein futuristisches Unterhaltungszentrum, bei dem Besucher mit Holografie und virtueller Realität in Unterwasserwelten, Marslandschaften oder Schneegebirge mit fliegenden Drachen geführt werden sollen. Um den gigantischen Würfelbau mit Kantenlängen von 400 Metern soll ein 19 Quadratkilometer großes neues Stadtviertel entstehen. „Die Zukunft ist hier“, heißt der Werbeslogan für den„Mukaab“– auf Deutsch: Würfel. Die Form des geplanten Gebäudes erinnert an die Kaaba, das muslimische Heiligtum in Mekka. Der „Würfel“ist deshalb schon vor seinem Bau umstritten.
MBS, wie der Kronprinz genannt wird, will das konservative Königtum Saudi-Arabien in einen Hightech-Staat verwandeln, der Investoren und Touristen anzieht und mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Katar konkurriert. Damit will der 37-jährige Prinz, als Thronfolger der starke Mann in Saudi-Arabien, sein Land mittelfristig unabhängig von Einnahmen aus dem Ölexport machen und der jungen Bevölkerung des Königreiches neue Perspektiven bieten. Zu seinen bisherigen Projekten gehören die Zukunftsstadt „Neom“am Roten Meer mit einem 170 Kilometer langen Gebäude und ein Wintersportzentrum, in dem 2029 die Asiatischen Winterspiele stattfinden sollen.
Ein Jahr später soll der „Würfel“in Riad mit 360-Grad-Kino, Restaurants und Geschäften fertig sein. Das neue Stadtviertel um das Gebäude herum soll Hunderttausenden Einwohnern sowie Hotels, Büros, Hochschulen und Forschungseinrichtungen Platz bieten. Die Neubauten in Riad sollen die saudische Hauptstadt zu einer der zehn lebenswertesten Städte der Erde machen.
Außerdem sollen Hunderttausende Arbeitsplätze für eine Zukunft nach dem Ölzeitalter entstehen. MBS will die Zahl der Touristen in Saudi-Arabien von derzeit 20 Millionen im Jahr auf 100 Millionen verfünffachen. Das wären mehr als doppelt so viele Besucher, als das Urlaubsland Türkei derzeit begrüßt.
Der „Würfel“wird nach den Plänen mit 400 Meter Höhe, 400 Meter Breite und 400 Meter Tiefe eines der größten Gebäude der Welt sein: 20 Empire State Buildings aus Manhattan würden hineinpassen. Werbevideos zeigen das riesige Gebäude, das aus einem idyllischen Stadtviertel mit niedrigen Wohnhäusern, Bächen und Sträuchern in den Himmel ragt. Die Kosten des Projekts sind nicht bekannt, doch verfügt der staatliche saudische Investmentfonds unter dem Vorsitz von MBS über ein Vermögen von mehr als 600 Milliarden US-Dollar.
Manche Beobachter fragen sich, worauf MBS mit dem „Würfel“hinaus will. Der Unternehmensberater Sami Hamdi nennt das Projekt die„neue Kaaba der Unterhaltung“: Kronprinz Mohammed verfolge schon seit Jahren das Ziel, die Rolle des Islam in Saudi-Arabien herabzustufen.
Der Prinz war vor vier Jahren auf das Dach der Kaaba in Mekka geklettert und hatte damit den Zorn saudischer Islamisten auf sich gezogen. Hamdi sieht die damalige Aktion des Thronfolgers als Symbol für seinen Versuch, den Einfluss des Islam in Saudi-Arabien zurückzudrängen. Der geplante „Würfel“in Riad passe perfekt zu diesemVorhaben, sagte Hamdi jetzt auf Twitter.
Andere Kritiker sehen im „Würfel“ein Ausdruck der Jagd des Kronprinzen nach neuen Einnahmequellen. Der Journalist Murtaza Hussein nannte das geplante Riesengebäude eine „neue Kaaba des Kapitalismus“. Ein saudischer Twitter-Nutzer schrieb, MBS plane eine „Kaaba mit Shoppingzentrum“. Anhänger von MBS verteidigen die Pläne dagegen mit dem Hinweis, dass würfelartige Gebäude überall in Arabien zu finden seien.
Fest steht, dass MBS sich durch islamische Traditionen oder Einflüsse nicht von seiner Vorstellung eines modernen Staates abbringen lassen will, auch wenn er eines Tages als König über Mekka und Medina, die heiligsten Städte des Islam, herrschen wird. In den vergangenen Jahren hat MBS gegen den Widerstand konservativer religiöser Kräfte ein 30 Jahre währendes Verbot von Kinos in dem Königreich aufgehoben, Frauen das Autofahren erlaubt und Befugnisse der Religionspolizei zusammengestrichen. MBS plädiert nach eigenenWorten für einen „gemäßigten“Islam. Es ist aber nicht klar, was er damit meint, denn das Bündnis der saudischen Königsfamilie mit den Geistlichen des streng-islamischenWahabismus ist eine Säule seiner Macht.
Eine freie Debatte darüber und über die Frage, ob der neue „Würfel“die Kaaba in den Schatten stellen soll, ist in Saudi-Arabien nicht möglich, denn politische Reformen, Debatten und Widerspruch will der Prinz bei seinem Reformprogramm nicht dulden. Vor fünf Jahren ließ er nach Erkenntnissen von US-Geheimdiensten in Istanbul den Journalisten Jamal Khashoggi ermorden. Andere Dissidenten landen im Gefängnis oder vor dem Scharfrichter. Daran dürften auch geplante Touristenattraktionen wie der „Würfel“nichts ändern.