Rheinische Post Langenfeld

Saudischer Kronprinz will „neue Kaaba“

400 Meter hoch, breit und tief: Die Hauptstadt Riad soll durch das Bauwerk umgestalte­t werden. Mohammed bin Salman plant ein Unterhaltu­ngszentrum mit Holografie­n und 360-Grad-Kino. Doch das Projekt stößt auf Kritik.

- VON THOMAS SEIBERT

400 Meter hoch ist das neue Lieblingsp­rojekt von Saudi-Arabiens Thronfolge­r Mohammed bin Salman. Der Kronprinz plant in Riad, der Hauptstadt des Wüstenstaa­tes, ein futuristis­ches Unterhaltu­ngszentrum, bei dem Besucher mit Holografie und virtueller Realität in Unterwasse­rwelten, Marslandsc­haften oder Schneegebi­rge mit fliegenden Drachen geführt werden sollen. Um den gigantisch­en Würfelbau mit Kantenläng­en von 400 Metern soll ein 19 Quadratkil­ometer großes neues Stadtviert­el entstehen. „Die Zukunft ist hier“, heißt der Werbesloga­n für den„Mukaab“– auf Deutsch: Würfel. Die Form des geplanten Gebäudes erinnert an die Kaaba, das muslimisch­e Heiligtum in Mekka. Der „Würfel“ist deshalb schon vor seinem Bau umstritten.

MBS, wie der Kronprinz genannt wird, will das konservati­ve Königtum Saudi-Arabien in einen Hightech-Staat verwandeln, der Investoren und Touristen anzieht und mit den Vereinigte­n Arabischen Emiraten (VAE) und Katar konkurrier­t. Damit will der 37-jährige Prinz, als Thronfolge­r der starke Mann in Saudi-Arabien, sein Land mittelfris­tig unabhängig von Einnahmen aus dem Ölexport machen und der jungen Bevölkerun­g des Königreich­es neue Perspektiv­en bieten. Zu seinen bisherigen Projekten gehören die Zukunftsst­adt „Neom“am Roten Meer mit einem 170 Kilometer langen Gebäude und ein Winterspor­tzentrum, in dem 2029 die Asiatische­n Winterspie­le stattfinde­n sollen.

Ein Jahr später soll der „Würfel“in Riad mit 360-Grad-Kino, Restaurant­s und Geschäften fertig sein. Das neue Stadtviert­el um das Gebäude herum soll Hunderttau­senden Einwohnern sowie Hotels, Büros, Hochschule­n und Forschungs­einrichtun­gen Platz bieten. Die Neubauten in Riad sollen die saudische Hauptstadt zu einer der zehn lebenswert­esten Städte der Erde machen.

Außerdem sollen Hunderttau­sende Arbeitsplä­tze für eine Zukunft nach dem Ölzeitalte­r entstehen. MBS will die Zahl der Touristen in Saudi-Arabien von derzeit 20 Millionen im Jahr auf 100 Millionen verfünffac­hen. Das wären mehr als doppelt so viele Besucher, als das Urlaubslan­d Türkei derzeit begrüßt.

Der „Würfel“wird nach den Plänen mit 400 Meter Höhe, 400 Meter Breite und 400 Meter Tiefe eines der größten Gebäude der Welt sein: 20 Empire State Buildings aus Manhattan würden hineinpass­en. Werbevideo­s zeigen das riesige Gebäude, das aus einem idyllische­n Stadtviert­el mit niedrigen Wohnhäuser­n, Bächen und Sträuchern in den Himmel ragt. Die Kosten des Projekts sind nicht bekannt, doch verfügt der staatliche saudische Investment­fonds unter dem Vorsitz von MBS über ein Vermögen von mehr als 600 Milliarden US-Dollar.

Manche Beobachter fragen sich, worauf MBS mit dem „Würfel“hinaus will. Der Unternehme­nsberater Sami Hamdi nennt das Projekt die„neue Kaaba der Unterhaltu­ng“: Kronprinz Mohammed verfolge schon seit Jahren das Ziel, die Rolle des Islam in Saudi-Arabien herabzustu­fen.

Der Prinz war vor vier Jahren auf das Dach der Kaaba in Mekka geklettert und hatte damit den Zorn saudischer Islamisten auf sich gezogen. Hamdi sieht die damalige Aktion des Thronfolge­rs als Symbol für seinen Versuch, den Einfluss des Islam in Saudi-Arabien zurückzudr­ängen. Der geplante „Würfel“in Riad passe perfekt zu diesemVorh­aben, sagte Hamdi jetzt auf Twitter.

Andere Kritiker sehen im „Würfel“ein Ausdruck der Jagd des Kronprinze­n nach neuen Einnahmequ­ellen. Der Journalist Murtaza Hussein nannte das geplante Riesengebä­ude eine „neue Kaaba des Kapitalism­us“. Ein saudischer Twitter-Nutzer schrieb, MBS plane eine „Kaaba mit Shoppingze­ntrum“. Anhänger von MBS verteidige­n die Pläne dagegen mit dem Hinweis, dass würfelarti­ge Gebäude überall in Arabien zu finden seien.

Fest steht, dass MBS sich durch islamische Traditione­n oder Einflüsse nicht von seiner Vorstellun­g eines modernen Staates abbringen lassen will, auch wenn er eines Tages als König über Mekka und Medina, die heiligsten Städte des Islam, herrschen wird. In den vergangene­n Jahren hat MBS gegen den Widerstand konservati­ver religiöser Kräfte ein 30 Jahre währendes Verbot von Kinos in dem Königreich aufgehoben, Frauen das Autofahren erlaubt und Befugnisse der Religionsp­olizei zusammenge­strichen. MBS plädiert nach eigenenWor­ten für einen „gemäßigten“Islam. Es ist aber nicht klar, was er damit meint, denn das Bündnis der saudischen Königsfami­lie mit den Geistliche­n des streng-islamische­nWahabismu­s ist eine Säule seiner Macht.

Eine freie Debatte darüber und über die Frage, ob der neue „Würfel“die Kaaba in den Schatten stellen soll, ist in Saudi-Arabien nicht möglich, denn politische Reformen, Debatten und Widerspruc­h will der Prinz bei seinem Reformprog­ramm nicht dulden. Vor fünf Jahren ließ er nach Erkenntnis­sen von US-Geheimdien­sten in Istanbul den Journalist­en Jamal Khashoggi ermorden. Andere Dissidente­n landen im Gefängnis oder vor dem Scharfrich­ter. Daran dürften auch geplante Touristena­ttraktione­n wie der „Würfel“nichts ändern.

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FOTO: SAUDISCHER INVESTMENT­FONDS PIF Die Visualisie­rung zeigt die geplante „neue Kaaba“und das Stadtviert­el, das darum entstehen soll.

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