Ein zweites Leben auf dem Eis
Kilian Hinterdobler galt als aufstrebender DEL-Schiedsrichter, bis seine Nieren versagten und sein Leben bedroht war. Nun pfeift er auf den Tag genau ein Jahr nach der schweren Transplantation wieder ein Spiel. In Düsseldorf.
DÜSSELDORF Am Donnerstagabend könnte es hitzig werden. Dann steht das erste NRW-Duell der neuen Eishockey-Saison an, die Düsseldorfer EG trifft auf die Iserlohn Roosters. Wichtiges Spiel für beide Seiten, erst recht für die Fans. Und doch steht da ein Mann auf dem Eis, für den das alles noch eine Nummer größer ist. Nicht das Ergebnis, das muss ihm schon von Berufswegen her einerlei sein. Es geht um das Spiel an sich. Und dass er selbst ein Teil davon ist.
Kilian Hinterdobler heißt der Mann, 29 Jahre alt, EishockeySchiedsrichter. Und allein die letzten beiden Informationen sind eine gute Nachricht. Im Sommer 2021 war nämlich gar nicht klar, ob Kilian Hinterdobler seinen 29. Geburtstag überhaupt erleben würde, an die Fortsetzung seiner Karriere in der Deutschen Eishockey-Liga war erst recht nicht zu denken. Damals wurde sein Leben „von heute auf morgen auf den Kopf gestellt, da ist eineWelt für mich zusammengebrochen“, sagt Hinterdobler im Gespräch mit unserer Redaktion. Der Grund: Nierenversagen, Intensivstation. Das Urteil des Oberarztes: Die Nieren sind nicht zu retten, Lebensgefahr, es muss sofort etwas passieren. Erst wurde das Blut künstlich gereinigt, aber es brauchte eine neue Niere. Glück im Unglück: Kilian Hinterdoblers Mutter war sofort bereit, eine zu spenden. Zahlreiche Untersuchungen später war klar: Es könnte klappen. Am 29. September 2021 folgte die große Operation.
Nun auf den Tag genau ein Jahr später wird Hinterdobler wieder ein Eishockeyspiel in der DEL leiten. Eine fast kitschige Geschichte. Und eine, die er selbst nicht für möglich gehalten hätte. Dass er irgendwann wieder auf dem Eis stehen würde, das wusste er: „Ich habe schnell gemerkt, dass es nichts bringt, in Selbstmitleid zu verfallen. Man darf auch mal traurig sein, aber man muss auch immer wieder nach vorne blicken“Aber dass es so schnell passiert? „Das hatte ich nicht erwartet.“Denn gerade die ersten Wochen nach der OP waren hart. Ein „Pflegefall“sei er gewesen, sagt Hinterdobler, lag tagelang mit allerlei Schläuchen im Körper im Bett,
konnte sich danach nur mit einem Gehwagen fortbewegen. Mit 28 Jahren. Erst nach Wochen kam er nach Hause, kochte erstmals wieder selbst, kämpfte sich immer mehr zurück in den Alltag. „Ich habe mir gesagt: Du blickst jetzt nach vorne und machst gewisse Schritte.“
Der nächste war die Reha. Ein weiterer wichtiger kam im Winter 2021/22. Der war daheim in Bayern kalt, die Seen zugefroren. Da wagte sich Kilian Hinterdobler im Februar erstmals wieder aufs Eis. „Ich konnte es kaum erwarten, die Schlittschuhe anzuziehen. Da war noch nicht an Spiele zu denken, aber es war mir wichtig, einfach wieder auf dem Eis zu sein.“Das half ihm auch mental.
Ab März konnte er sich körperlich wieder voll belasten. In den Monaten zuvor hatte er fast zehn Kilo ver
loren, nun baute er die Muskeln wieder auf. Neu war das für ihn nicht, seit der Kindheit hatte er selbst Eishockey gespielt, erst in Reichersbeuern, später in Bad Tölz. Er spielte mit späteren Nationalspielern wie Konrad Abeltstauser und Yasin Ehliz, schaffte es bis in die SchülerBundesliga und die Deutsche Nachwuchs-Liga (DNL), die Topliga im Jugendbereich. Parallel versuchte er sich auch schon als Schiedsrichter. Mit 19 stellte er den Schläger dann in die Ecke und konzentrierte sich aufs Pfeifen. „Ich habe gemerkt, dass ich damit da hinkommen kann, wohin ich es als Spieler nicht schaffe“, sagt er. So kam es: Oberliga, DEL2, bereits mit 24 als Linienrichter in der DEL, 2019 auch als Hauptschiedsrichter, dazu internationale Einsätze wie bei der U20-WM. Hinterdobler
galt als aufstrebender Schiedsrichter, bis ihn die Erkrankungen aus der Bahn warf.
Nun geht es wieder los. In den vergangenen Wochen leitete er erste Testspiele, kam zuletzt auch wieder in der DEL2 zum Einsatz. Am Donnerstag folgt nun sein großes Comeback in der DEL. Bei Düsseldorf gegen Iserlohn, nicht das uninteressanteste Spiel. Und eins, wo es auf dem Eis und den Rängen knistern wird. Hinterdobler wird sich dann wieder zwischen Spieler schmeißen, die sich an die Wäsche wollen, er wird Leute auf die Strafbank schicken, Tore anzeigen, mit Kapitänen diskutieren und sich vom Publikum beschimpfen lassen. Genau ein Jahr nach seiner Nierentransplantation könnte er sich nichts Schöneres vorstellen.