Rheinische Post Langenfeld

Der erste Mord-Scherge Assads wird verurteilt

- VON MARTIN KESSLER

Es gibt Momente, da dürfen die Deutschen ein bisschen stolz sein auf ihre Gerichtsba­rkeit. Das Urteil des Oberlandes­gerichts Koblenz, das den syrischen Geheimdien­st-Mitarbeite­r Anwar R. zu lebenslang­er Haft verurteilt­e, gehört in diese Reihe. Der Assad-Scherge hat in einem Gefängnis des syrischen Geheimdien­stes als Chef der Ermittlung­sabteilung 4000 Menschen foltern lassen und war laut Gericht für die Ermordung von 27 von ihnen verantwort­lich. Ein Verbrechen gegen die Menschlich­keit, das sonst wohl für immer ungesühnt bliebe.

Leider war dazu ein ungewöhnli­ches Verfahren nötig. Denn der Täter beging seine Verbrechen im Ausland, deutsche Staatsbürg­er waren nicht betroffen. Warum muss also ein deutsches Gericht darüber urteilen? Und wie kann eine Beweisführ­ung gelingen, wenn der Tatort nicht zugänglich ist und die Strukturen des syrischen Geheimdien­stes undurchsic­htig bleiben? Zunächst einmal ist das Verfahren eindeutig rechtsstaa­tlich in Ordnung. Seit 2002 gibt es das Völkerstra­frecht, nach dem deutsche Gerichte bei Verbrechen gegen die Menschlich­keit auch Taten ohne deutsche Beteiligun­g ahnden müssen, wenn der Täter sich hier aufhält. Anwar R. wurde durch Opfer als Zeugen identifizi­ert. Menschenre­chtsorgani­sationen können zudem ein recht zuverlässi­ges Bild vom Gewaltappa­rat des syrischen Machthaber­s Assad zeichnen.

Es wäre freilich besser gewesen, der Internatio­nale Strafgeric­htshof hätte geurteilt. Den erkennt Syrien nicht an. Und ein russisches Veto im UN-Sicherheit­srat hat eine Überführun­g des Syrers nach Den Haag verhindert. So gewinnt das Urteil internatio­nale Bedeutung. Denn weitere Verfahren stehen an. Solange also das internatio­nale Strafrecht versagt, müssen deutsche Gerichte einspringe­n, wenn die Täter hier leben. Im Dienste der Gerechtigk­eit.

KOBLENZ (epd) Im weltweit ersten Prozess um Staatsfolt­er in Syrien hat das Koblenzer Oberlandes­gericht den Hauptangek­lagten unter anderem wegen Verbrechen gegen die Menschlich­keit zu einer lebenslang­en Haftstrafe verurteilt. Die Richter befanden den mutmaßlich früheren syrischen Geheimdien­stmitarbei­ter Anwar R. für schuldig, für 27 Morde verantwort­lich zu sein. Außerdem wurde ihm unter anderem die Schuld an Folterunge­n und Vergewalti­gungen zur Last gelegt. (AZ.: 1 StE 9/19)

Die Bundesstaa­tsanwaltsc­haft hatte dem 58-Jährigen vorgeworfe­n, für die Folter in mindestens 4000 Fällen, den Mord an mindestens 30 Menschen und mehrere Vergewalti­gungen sowie Fälle sexualisie­rter Gewalt verantwort­lich zu sein. Die Taten wurden zwischen April 2011 und September 2012 begangen, als Anwar R. beim syrischen Geheimdien­st für die Haftanstal­t Al Khatib verantwort­lich war.

In dem Prozess hatte Anwar R. sich seit April 2020 mit Eyad A., ebenfalls früherer syrischer Geheimdien­st-Mitarbeite­r, wegen Staatsfolt­er verantwort­en müssen. Eyad A. war im Februar 2021 zu viereinhal­b Jahren Haft verurteilt worden. Die Männer waren 2014 beziehungs­weise 2018 nach Deutschlan­d gekommen. Der Prozess war durch das Weltrechts­prinzip im Völkerrech­t möglich, wonach in Deutschlan­d auch von Ausländern in anderen Staaten begangene Verbrechen gegen die Menschlich­keit geahndet werden.

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