Palma: Süß und schillernd
Zu Weihnachten auf Mallorca muss niemand auf Beleuchtung und Krippenschmuck verzichten. Und mit dem Gesang der Sibilla gibt es sogar ein Welterbe zu entdecken.
Es ist ein Volksauflauf wie auf einem Wimmelbild. Eine junge Blondine im blauen Kleid demonstriert mit einigen Bäuerinnen und einem Teenager auf dem Skateboard für mehr Klimaschutz und für lokale Produkte. Wenige Schritte weiter schleppt eine Touristin drei große Kartons mit Ensaimadas, den typischen Schmalzkringeln aus Palma de Mallorca, in ihr Hotel. Vor dem Eingangsportal eines Klosters bittet eine Mutter mit ihrer kleinen Tochter an der Hand eine Novizin um frisch gebackene Mandelkekse. Nebenan füllt der Metzger Schweinefleisch, Speck, süßes Paprikapulver, Salz und Gewürze für die Sobrasada-Wurst in einen Darm. Ein kleiner Junge ist beim Sackhüpfen umgefallen und liegt heulend im Gras. Und über allem legt jemand auf einem Dach seine Matratze zum Lüften aus. Näherten sich nicht von Osten her die drei heiligen Könige auf Fahrrädern, wäre zunächst gar nicht klar, dass es sich bei der ganzen Inszenierung um eine Krippe handelt.
Man kann sich minutenlang verlieren in den Krippenlandschaften der Palmesanes. Die stehen nicht nur im Foyer des Rathauses sowie der vielen Kirchen, sondern zum Beispiel auch im Jugendstil-Schaufenster der Bäckerei Formet de la Soca an der Plaça de Weyler. „Krippenbau ist ein echter Volkssport“, sagt Maria Magdalena Sureda, die in der Weihnachtszeit Führungen zu den schönsten Exemplaren in Palma anbietet. Rund um die heilige Familie im Stall wüchsen die Panoramen jedes Jahr um ein paar weitere Figuren. Alltagsszenen, Volksfeste, Handwerk und Brauchtum drücken sich darum aus. „Die Kinder suchen vor allem immer den Mönch, der sich irgendwo versteckt“, sagt Sureda. Im Mercat Santa Catalina haben die Krippenbauer Vogelkundigen einen passenden Hinweis gegeben: Ein Mönchsgeier schwebt über dem in einer Höhle versteckten Eremiten.
Wer selbst die heimische Krippe aufhübschen möchte, der findet auf einem der zahlreichen Weihnachtsmärkte bis zum Dreikönigstag alles, was er dazu braucht. Die Buden selbst sind auffällig schmucklos. In der Form von Kiosken erinnern sie mit ihren Tabletts und Kisten voller kleiner Bäumchen, Moos und Steinchen, Häusern und Mühlen sowie Figuren von Menschen und Tieren eher an eine große Modellbaumesse. Dafür herrscht weniger Gedränge als auf deutschen Weihnachtsmärkten. Wer lieber einfach einen Glühwein trinken möchte, der muss aufs Burger Lab an der Prachtstraße Passeig del Born mit ihren Luxus-Boutiquen ausweichen. Hier gibt es die Köstlichkeit draußen unter den beleuchteten Platanen für 3,50 Euro pro Becher.
Süße Sünden hält zur Weihnachtszeit aber auch die traditionelle mallorquinische Küche genug bereit. Der beste Ort, um sich davon zu überzeugen, ist wohl die Bäckerei Formet de la Soca mit zwei Filialen. Cheffin Maria José Orero schleppt ein ganzes Brett voller Gebäck heran. Wie wäre es mit einem Baiser-Tupfer auf Zitronencreme und Mürbeteig? Oder mit Masca – einem Aal aus Marzipan und Eigelb mit extra vielen Mandeln? Mit Mäuschen mit kandierten Früchten? Mutige probieren dagegen die Blutwurst aus Schokolade und Nüssen nach einem Spezialrezept von Tante Catalina. Marias Mann Tomeu Arbona hat alle Rezepte alten Familienmitgliedern abgeschwatzt oder aus Klosterbüchern abgeschrieben. Spekulatius vermisst da niemand. Kekse im eigentlichen Sinne bekommt man am ehesten in den Klöstern wie Santa Magdalena. Die dortigen Augustinerinnen unterbrechen im Advent sogar eigens für den Verkauf der Cocas de Nadal ihre strenge Schweigeklausur.
Auch an den Feiertagen sind die Süßigkeiten heiß begehrt. Ein großes Essen an
Heiligabend hat sich erst in den letzten Jahren eingebürgert. „Eigentlich geht man um 23 Uhr oder Mitternacht zur Christmette in die ungeheizte Kirche“, erklärt Maria Sureda, „hinterher wärmt man sich dann mit heißer Schokolade und Ensaimada mit Engelshaarmarmelade“. Dabei müsse die Schoki so dickflüssig sein, dass der Löffel fast drin stehen bleibt. Im Traditionscafé Can Joan de s'Aigo servieren sie die Köstlichkeit im Winter auch Touristen.
Den ganzen Advent über und bis zum Dreikönigstag inszeniert sich Palma als mediterranes Weihnachtsmärchen. Mehr als eine Million Euro lässt sich die Stadtverwaltung die Illumination kosten. 415 Kilometer LED-Lichterketten schlängeln sich durch die Kronen von 1074 Bäumen und 200 Palmen sowie über Fassaden oder als Lichterzelt über der zentralen Plaza Mayor. Am großen Wasserbecken im Parc de la Mar unterhalb der Kathedrale blinkt und glitzert ein 23 Meter hoher künstlicher Weihnachtsbaum. Ein Tunnel aus Lichtern führt hindurch. Nur zum Sonnenaufgang, wenn erst wenige Frühaufsteher mit ihren Hunden
und ein paar Radfahrer unterwegs sind, ist es hier noch stimmungsvoller.
Am Heiligabend lockt hingegen ein weitaus weniger schillerndes Ereignis Besucherscharen in die Kirchen, allen voran in die gotische Kathedrale. Vor der eigentlichen Christmette singt ein Junge vor dem Stimmbruch oder ein Mädchen auf Altkatalanisch das Lied der Sibilla. Die antike Seherin verheißt darin die Geburt eines Erlösers und das Ende der Welt in der Apokalypse. Der Gesang ist in seiner heutigen Form ein 1000 Jahre altes Stück gelebtes Mittelalter für echte Gänsehautmomente. Nur auf Mallorca und rund um Alghero auf Sardinien ist die Tradition erhalten geblieben. Inzwischen zählt sie zum immateriellen Welterbe der Unesco. Wenn die Sibilla mit glockenheller Stimme und einem Schwert vor dem Gesicht ihre fremdartige Verheißung anstimmt, braucht in diesem Augenblick wirklich niemand einen Gassenhauer wie „Feliz Navidad“.
Der Autor reiste mit Unterstützung von Tourespania und Visit Palma.