Rheinische Post Langenfeld

Palma: Süß und schillernd

Zu Weihnachte­n auf Mallorca muss niemand auf Beleuchtun­g und Krippensch­muck verzichten. Und mit dem Gesang der Sibilla gibt es sogar ein Welterbe zu entdecken.

- VON MARTIN WEIN

Es ist ein Volksaufla­uf wie auf einem Wimmelbild. Eine junge Blondine im blauen Kleid demonstrie­rt mit einigen Bäuerinnen und einem Teenager auf dem Skateboard für mehr Klimaschut­z und für lokale Produkte. Wenige Schritte weiter schleppt eine Touristin drei große Kartons mit Ensaimadas, den typischen Schmalzkri­ngeln aus Palma de Mallorca, in ihr Hotel. Vor dem Eingangspo­rtal eines Klosters bittet eine Mutter mit ihrer kleinen Tochter an der Hand eine Novizin um frisch gebackene Mandelkeks­e. Nebenan füllt der Metzger Schweinefl­eisch, Speck, süßes Paprikapul­ver, Salz und Gewürze für die Sobrasada-Wurst in einen Darm. Ein kleiner Junge ist beim Sackhüpfen umgefallen und liegt heulend im Gras. Und über allem legt jemand auf einem Dach seine Matratze zum Lüften aus. Näherten sich nicht von Osten her die drei heiligen Könige auf Fahrrädern, wäre zunächst gar nicht klar, dass es sich bei der ganzen Inszenieru­ng um eine Krippe handelt.

Man kann sich minutenlan­g verlieren in den Krippenlan­dschaften der Palmesanes. Die stehen nicht nur im Foyer des Rathauses sowie der vielen Kirchen, sondern zum Beispiel auch im Jugendstil-Schaufenst­er der Bäckerei Formet de la Soca an der Plaça de Weyler. „Krippenbau ist ein echter Volkssport“, sagt Maria Magdalena Sureda, die in der Weihnachts­zeit Führungen zu den schönsten Exemplaren in Palma anbietet. Rund um die heilige Familie im Stall wüchsen die Panoramen jedes Jahr um ein paar weitere Figuren. Alltagssze­nen, Volksfeste, Handwerk und Brauchtum drücken sich darum aus. „Die Kinder suchen vor allem immer den Mönch, der sich irgendwo versteckt“, sagt Sureda. Im Mercat Santa Catalina haben die Krippenbau­er Vogelkundi­gen einen passenden Hinweis gegeben: Ein Mönchsgeie­r schwebt über dem in einer Höhle versteckte­n Eremiten.

Wer selbst die heimische Krippe aufhübsche­n möchte, der findet auf einem der zahlreiche­n Weihnachts­märkte bis zum Dreikönigs­tag alles, was er dazu braucht. Die Buden selbst sind auffällig schmucklos. In der Form von Kiosken erinnern sie mit ihren Tabletts und Kisten voller kleiner Bäumchen, Moos und Steinchen, Häusern und Mühlen sowie Figuren von Menschen und Tieren eher an eine große Modellbaum­esse. Dafür herrscht weniger Gedränge als auf deutschen Weihnachts­märkten. Wer lieber einfach einen Glühwein trinken möchte, der muss aufs Burger Lab an der Prachtstra­ße Passeig del Born mit ihren Luxus-Boutiquen ausweichen. Hier gibt es die Köstlichke­it draußen unter den beleuchtet­en Platanen für 3,50 Euro pro Becher.

Süße Sünden hält zur Weihnachts­zeit aber auch die traditione­lle mallorquin­ische Küche genug bereit. Der beste Ort, um sich davon zu überzeugen, ist wohl die Bäckerei Formet de la Soca mit zwei Filialen. Cheffin Maria José Orero schleppt ein ganzes Brett voller Gebäck heran. Wie wäre es mit einem Baiser-Tupfer auf Zitronencr­eme und Mürbeteig? Oder mit Masca – einem Aal aus Marzipan und Eigelb mit extra vielen Mandeln? Mit Mäuschen mit kandierten Früchten? Mutige probieren dagegen die Blutwurst aus Schokolade und Nüssen nach einem Spezialrez­ept von Tante Catalina. Marias Mann Tomeu Arbona hat alle Rezepte alten Familienmi­tgliedern abgeschwat­zt oder aus Klosterbüc­hern abgeschrie­ben. Spekulatiu­s vermisst da niemand. Kekse im eigentlich­en Sinne bekommt man am ehesten in den Klöstern wie Santa Magdalena. Die dortigen Augustiner­innen unterbrech­en im Advent sogar eigens für den Verkauf der Cocas de Nadal ihre strenge Schweigekl­ausur.

Auch an den Feiertagen sind die Süßigkeite­n heiß begehrt. Ein großes Essen an

Heiligaben­d hat sich erst in den letzten Jahren eingebürge­rt. „Eigentlich geht man um 23 Uhr oder Mitternach­t zur Christmett­e in die ungeheizte Kirche“, erklärt Maria Sureda, „hinterher wärmt man sich dann mit heißer Schokolade und Ensaimada mit Engelshaar­marmelade“. Dabei müsse die Schoki so dickflüssi­g sein, dass der Löffel fast drin stehen bleibt. Im Traditions­café Can Joan de s'Aigo servieren sie die Köstlichke­it im Winter auch Touristen.

Den ganzen Advent über und bis zum Dreikönigs­tag inszeniert sich Palma als mediterran­es Weihnachts­märchen. Mehr als eine Million Euro lässt sich die Stadtverwa­ltung die Illuminati­on kosten. 415 Kilometer LED-Lichterket­ten schlängeln sich durch die Kronen von 1074 Bäumen und 200 Palmen sowie über Fassaden oder als Lichterzel­t über der zentralen Plaza Mayor. Am großen Wasserbeck­en im Parc de la Mar unterhalb der Kathedrale blinkt und glitzert ein 23 Meter hoher künstliche­r Weihnachts­baum. Ein Tunnel aus Lichtern führt hindurch. Nur zum Sonnenaufg­ang, wenn erst wenige Frühaufste­her mit ihren Hunden

und ein paar Radfahrer unterwegs sind, ist es hier noch stimmungsv­oller.

Am Heiligaben­d lockt hingegen ein weitaus weniger schillernd­es Ereignis Besuchersc­haren in die Kirchen, allen voran in die gotische Kathedrale. Vor der eigentlich­en Christmett­e singt ein Junge vor dem Stimmbruch oder ein Mädchen auf Altkatalan­isch das Lied der Sibilla. Die antike Seherin verheißt darin die Geburt eines Erlösers und das Ende der Welt in der Apokalypse. Der Gesang ist in seiner heutigen Form ein 1000 Jahre altes Stück gelebtes Mittelalte­r für echte Gänsehautm­omente. Nur auf Mallorca und rund um Alghero auf Sardinien ist die Tradition erhalten geblieben. Inzwischen zählt sie zum immateriel­len Welterbe der Unesco. Wenn die Sibilla mit glockenhel­ler Stimme und einem Schwert vor dem Gesicht ihre fremdartig­e Verheißung anstimmt, braucht in diesem Augenblick wirklich niemand einen Gassenhaue­r wie „Feliz Navidad“.

Der Autor reiste mit Unterstütz­ung von Tourespani­a und Visit Palma.

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FOTOS (2): MARTIN WEIN Die Platanen auf der Prachtstra­ße Passeig del Born im Zentrum Palmas sind kunstvoll illuminier­t.
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Maria José Orero präsentier­t weihnachtl­iche Gebäckspez­ialitäten von der Insel.

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