Von Gott getragen
Beatrice von Weizsäcker ist im vergangenen Jahr von der evangelischen zur katholischen Kirche konvertiert. Zu diesem Wendepunkt in ihrem Leben gehört auch der Mord an ihrem Bruder.
DÜSSELDORF Es ist schon besonders, wenn jemand hierzulande öffentlich erklärt, dass er aus tiefster Überzeugung weiter in der Kirche bleiben wird. Und wenn es dabei um die katholische Kirche geht, erscheint das besonders speziell. Doch erklärungsbedürftig wird das Ganze, wenn damit sogar der Wechsel von der evangelischen zur katholischen Kirche gemeint ist.
Beatrice von Weizsäcker hat es getan, das eine wie das andere: Sie ist konvertiert und hat darüber auch in einem Buch Auskunft gegeben. „Haltepunkte“heißt es und ist eigentlich ein Lebensbuch. Ein Überlebensbuch.
Es ist der 18. November 2019. Beatrice von Weizsäcker schreibt eine Rundfunk-Kolumne „Zum Sonntag“und entscheidet sich so kurz vor dem Totensonntag für das Thema Sterben. Am nächsten Tag wird sie die Nachricht bekommen, dass ihr Bruder in Berlin ermordet wurde. Und etwas später wird ihr gesagt, dass der Anschlag nicht ihm, dem leidenschaftlichen Arzt, gegolten habe, sondern ihr – der engagierten Protestantin, die viele Jahre Präsidiumsmitglied des evangelischen und ökumenischen Kirchentags war und die als Tochter des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zudem prominent ist.
Der Mord am Bruder lässt sie aber nicht hadern mit Gott und ihrem Glauben. Denn Gott gefalle es nicht, Menschen zu sich zu rufen; sie durch ein Virus zu töten oder sie ermorden zu lassen. Es ist nach ihren Worten anmaßend, das zu behaupten. Wohin aber mit der Trauer, all der einsamen Wut, der Verzweiflung? Von Weizsäcker unternimmt eine Gruppenreise nach Israel – mit lauter Katholiken aus Bayern. Sie besichtigt Marias Geburtskirche St. Anna, die Todesangst-Basilika mitten im Garten Gethsemane. Sie weint und betet und berührt den Boden. Der Glaube berührt sie und wird in diesem Augenblick greifbar. Sie macht die Erfahrung, dass Jesus wirklich bei ihr ist, als Freund, Vertrauter, neuer Bruder. Der Autor Patrick Roth hat die ungeheuerliche Begegnung von Maria Magdalena mit dem auferstandenen Jesus einmal als „Magdalenensekunde“beschrieben. Und eine solche Magdalenensekunde scheint Beatrice von Weizsäcker in diesem Augenblick auch erlebt zu haben. Sie habe Glaube als „Geschenk“erfahren, sagt sie uns. „Glaube ist Vertrauen. Und Vertrauen gewinnt man nicht in der Theorie, sondern durchs Leben.“
Aber warum der Übertritt? Noch dazu in eine Kirche, die vehementer Kritik ausgesetzt ist? Die Kritik an der katholischen Kirche sei in vielen Punkten berechtigt, so die 63-Jährige, vor allem hinsichtlich der sexualisierten Gewalt und des Umgangs damit, aber auch wegen mangelnder Reformfähigkeit. „Hier gibt es viel zu kritisieren und zu ändern, keine Frage. Die Kritik tangiert aber meinen Glauben nicht. Mein Glaube und die Kirchenpolitik sind zwei verschiedene Dinge. Bislang hat jedenfalls noch keine kirchenpolitische Frage meinen Glauben erschüttern können.“
Auch darum sei ihre Konversion kein Schritt gegen etwas gewesen, in diesem Fall gegen die evangelische Kirche. Es war vielmehr die Entscheidung für etwas: „An der katholischen Kirche schätze ich vor allem die weltweite Glaubensgemeinschaft, mit Betonung auf Glauben und Gemeinschaft, je nachdem. Es ist eine Gemeinschaft mit Christus und untereinander. Wir sind von Gott getragen, weil der Tod nicht das letzte Wort hat. Und wir tragen uns gegenseitig, weil wir Gemeinschaft sind. Darin liegt die eigentliche Kraft der katholischen Kirche.“
Es sei ihr wichtig, Teil einer Weltkirche zu sein. Konkret heißt das: „Als Katholikin bin ich außerdem überall zu Hause, auch wenn ich fremd bin.“Selbst wenn sie im Gottesdienst die Sprache des Landes nicht versteht und somit der Predigt nicht folgen könne. Aber: „Die Sprache der Messe ist mir vertraut, der Ablauf, die Gebete, die Liturgie. Ich mag überdies, dass nicht nur mein Kopf angesprochen wird, sondern auch meine Sinne. Mit Weihrauch und Wandlung, Kreuzzeichen und Kerzen. Das kann eine Andacht vermitteln, die mit Worten nicht zu beschreiben ist, weil sie mich tatsächlich andächtig werden lässt.“
Die „Haltepunkte“, die im Dialog mit dem evangelischen Theologen Norbert Roth Gestalt annahmen, sind ein persönliches Glaubensbekenntnis. Das scheint kreuz und quer zu unserer Zeit zu liegen, in der Kritik, Zweifel und Fremdheit jedes Gespräch über Kirche, Gott und die Welt dominieren. Auch darum ist das Buch so besonders und so wichtig. Für Beatrice von Weizsäcker jedenfalls bleibt ein Glaube ohne Kirche unvorstellbar: „Und ich muss es ja Gott sei Dank auch nicht.“