KULTURTIPPS
Legendäre Reportagen von Gay Talese Kunst-Pop in Feen-Kleidern Mit Goethe durch das neue Jahr
Der Text gilt als das berühmteste Stück, das je in einem Magazin erschienen ist, und obwohl die „Esquire“-Titelgeschichte schon 1966 veröffentlicht wurde, klingt sie immer noch frisch. „Frank Sinatra ist erkältet“heißt das Porträt, das der Reporter Gay Talese damals schrieb. Sinatra wollte nicht mit Talese reden, also lungerte der monatelang in dessen Umfeld herum und sprach mit vielen der 75 Angestellten, die Sinatra damals hatte. Herausgekommen ist ein sagenhaftes Porträt über einen hadernden Star. Berühmt ist der Anfang des Textes, da herrscht frostige Stimmung, denn Sintra ist erkältet. Talese schrieb einen Gründungstext des New Journalism. Den Begriff prägte wenige Jahre später Tom Wolfe, der ebenfalls ein Vertreter dieses Genres war. Die besten Artikel von Gay Talese sammelt nun der Band „High Notes“. Großes Vergnügen. hols Wer sie noch nie live gesehen hat, muss jetzt rasch mal bei Youtube nachschauen, denn das ist schon sehr toll: Sie rennt ja stets barfuß über die Bühne, sie bleibt niemals stehen, und sie trägt immer diese schönen Feen-Kleider der Firma Chloé; genau genommen kann man sie sich gar nicht anders vorstellen als in diesen Kleidern. Florence Welch ist eine der faszinierendsten Persönlichkeiten des Pop, und ihr Werk bleibt nicht auf die Musik beschränkt, sie entwirft einen Kosmos. Der wurde inspiriert vom mythischen England, von Albion, und von den Präraffeliten, jenen britischen Künstlern also, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts aus dem Geist der Renaissance schöpften.
Die Platten von Florence & The Machine, wie die Band von Florence Welch heißt, hatten denn bisher auch einen Hang zu Opulenz, Bombast und ästhetischer Verschwenderitis. Auf dem neuen Album ist sie weniger überbordend. Sie ist ja gerade 31 geworden, und die Eins zieht sie nun so hoch wie einen Turm, von dem aus sie die zurückliegenden Jahre gut überblicken kann. Denn das ist Literatur Nun gut, die meisten denken jetzt an die bevorstehenden Sommerferien – also nicht an Herbst und Winter und schon gar nicht ans neue Jahr. Sollte man aber, vor allem mit diesem kleinen Büchlein, das jetzt für alle Vorausschauenden erschienen ist: „Mit Goethe durch das Jahr 2019“. Das klingt etwas angestaubt, ist es aber nicht. Das schmale Taschenbüchlein passt in jede Jackentasche und empfiehlt sich auch sonst für eine kurze Lektüre so zwischendurch. Geeignet dazu ist vor allem das Kalendarium hinten, mit einem Goethe-Satz zu jedem Tag des Jahres. Und da der Dichterfürst stets Großes dachte, passt fast alles und stimmt Vieles nachdenklich. Wie: „Die Menschen denken nur ausweichend.“Oder: „Der liebt nicht, der die Fehler des Geliebten nicht für Tugenden hält.“Der erste Teil aber beschreibt auf etlichen Seiten ein hochdramatisches Ereignis vor 200 Jahren: die Ermordung des Theaterdichters August von Kotzebue. los „High As Hope“: eine Retrospektive, ein Reisebericht aus den Krisenregionen der Adoleszenz. Florence Welch erinnert sich an verflossene Lieben, an gebrochene Herzen und durchgefeierte Nächte. Sie entschuldigt sich bei den Zurückgelassenen und Versehrten, sie verneigt sich vor Idolen wie Patti Smith. Sie schaut auf Drogenrausch und Alkoholexzess. Nicht bitter oder wehmütig, sondern abschließend. Sie ist nun eine andere, ein bisschen zumindest. Die auch als Solokünstler erfolgreichen Produzenten Sampha und Jamie XX haben sie beraten, man hört deren Einfluss aber höchstens in Spurenelementen heraus. „High As Hope“ist immer noch zu 100 Prozent Florence & The Machine. Nur luftiger als gewohnt. Steht ihr gut. Philipp Holstein