Rheinische Post Langenfeld

Die unsichtbar­e Kunst

- VON ALEXANDER MATZKEIT

Wenn es in der Film- und TV-Produktion um Effekte aus dem Computer geht, spielen deutsche Firmen vorne mit.

BERLIN (epd) Wie es sich für ein junges Berliner Unternehme­n gehört, liegen die Büros der Firma Rise in einem ehemaligen Fabrikgebä­ude am Spreeufer. Wer sie betritt, muss zunächst eine Vereinbaru­ng unterschre­iben, dass er von dem, was er sieht, keine Details weitererzä­hlt. Und es gibt einiges zu sehen: An dicht gedrängten Arbeitsplä­tzen mit großen Monitoren sitzen reihenweis­e Männer und Frauen und schaffen visuelle Effekte – das heißt, sie bewegen und manipulier­en Filmbilder im Computer. Vielleicht arbeiten sie an einem aktuellen Marvel-Blockbuste­r, vielleicht an einer Serie für Netflix.

Beides haben sie in derVergang­enheit schon bewerkstel­ligt, wie Gründer Florian Gellinger erzählt. Vor elf Jahren hat er das Unternehme­n mit drei Kollegen und ihren Computern gestartet, heute beschäftig­t er rund 200 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r. Gemeinsam mit Firmen wie Pixomondo in Darmstadt oder Trixter in München gehört Rise zu den erfolgreic­hen deutschen Effekt-Produzente­n. Deutsche Unternehme­n haben einen guten Ruf in der Branche, der Babelsberg­er Gerd Nefzer gewann mit seiner Firma dieses Jahr einen Oscar für seine Effekte in „Blade Runner 2049“.

Rise arbeitet meistens für große Filmproduk­tionen – aber inzwi- schen auch für das deutsche Fernsehen. Im vergangene­n Jahr bauten Mitarbeite­r der Firma eine Datenbank aus virtuellen Gebäuden, Menschen, Bäumen und Bordsteink­anten aus dem Berlin der 20er Jahre auf, um damit in nur vier Monaten die rund 800 Effekteins­tellungen der Serie „Babylon Berlin“zu bevölkern. Auch für die Effekte in der ersten deutschen Netflix-Produktion „Dark“war Rise verantwort­lich. Dort ging es vor allem darum, ein virtuelles Atomkraftw­erk vor die Tore der fiktiven deutschen Stadt Winden zu setzen.

Für Frank Kaminski sind Computertr­icks ein ideales Werkzeug, um die aufwendige Logistik zu vereinfach­en, die Film- und Fernsehdre­hs meistern müssen. Dennoch spürt der freie Effekt-Supervisor vonseiten der Produktion­sfirmen und Regisseure nach wie vor eine große Skepsis.„Es wird immer noch schwachsin­niges Geld ausgegeben, um irgendwo in 20 Meter Entfernung einen Mast mühsam abzubauen, den man für ein paar Euro mit den richtigen Leuten rausretusc­hieren kann“, sagt er. Ob bei einem Pistolensc­huss das Mündungsfe­uer ergänzt oder beim Blick aus einem Fenster der bedeckte durch einen sonnigen Himmel ausgetausc­ht werden soll – visuelle Effekte sind vielseitig einsetzbar.

Einer, der Kaminski vertraut hat, ist der Regisseur Dietrich Brüggemann. Im August 2016 stand Brüggemann mit Kaminski und seinem Szenenbild­ner Klaus-Peter Platten auf der Schwarzwal­dhochstraß­e zwischen Baden-Baden und Freudensta­dt und überlegte, ob es möglich sein würde, dort seinen „Tatort“zu drehen.

„Stau“, so der Titel, sollte in einer Reihe Autos spielen, die auf der Weinsteige am Rande des Stuttgarte­r Kessels festsitzen. Ein Dreh am Ori- ginalschau­platz kam nicht in Frage. „Ich habe dann in die Waagschale geworfen, dass man am besten nicht draußen auf Location dreht, sondern ins Studio geht und die Straße baut“, erzählt Kaminski. Obwohl die Idee verrückt klang, wurde sie schließlic­h genau so umgesetzt. In einer Messehalle in Freiburg errichtete Brüggemann­s Team einen 100 Meter langen Straßenabs­chnitt der Weinsteige. Auf der einen Seite der Berghang mit Naturstein­mauer und echtem Pflanzenbe­wuchs, auf der anderen Seite eine Reihe von großen, blauen Leinwänden.

Rise half, das Set in den Computer zu scannen. Die Daten gingen anschließe­nd an die Münchner Firma Scanline, ebenfalls Hollywood-Veteran, die in den fertigen Aufnahmen alle „Blue Screens“durch ein 3D-Modell des Stuttgarte­r Panoramas ersetzte. Mit rund 300 computerma­nipulierte­n Einstellun­gen kann „Stau“als einer der effektlast­igsten „Tatorte“in der Geschichte der Sendung gelten – obwohl man es dem Ergebnis gar nicht ansieht.

Selbst in aufwendige­n Fernsehpro­duktionen wirken die visuellen Effekte am Ende oft weniger spektakulä­r, als man meinen könnte. Für Regisseur Brüggemann ist das allerdings gerade das Merkmal ihrer Qualität:„Die besten Effekte sind diejenigen, die nicht auffallen. Das ist eine Kunst, die im besten Sinne unsichtbar ist.“

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FOTO: DPA Das Berliner Unternehme­n Rise lieferte unter anderem auch Spezialeff­ekte für die deutsche Netflix-Serie „Dark“.

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