Rheinische Post Langenfeld

Bierhoffs Bauernopfe­r

- VON GIANNI COSTA UND ROBERT PETERS

MOSKAU Die Funktionär­e im Deutschen Fußball-Bund sind offenbar bessere Sprinter als die Spieler der Nationalma­nnschaft.Während sich das einstweile­n mal frühere Vorzeigete­am im deutschen Sport bei der Weltmeiste­rschaft in Russland vor-

„Man hätte überlegen

müssen, ob man sportlich auf Mesut Özil verzichtet“

Oliver Bierhoff

Manager der DFB-Auswahl

nehmlich durch eine sehr zurückhalt­ende Spielweise bereits nach der Vorrunde verabschie­dete, legen die hohen Herren des Verbands große Schnelligk­eit an den Tag. Noch bevor irgendwer auch nur mit der allseits geforderte­n gründliche­n Analyse des historisch­en Absturzes beginnen konnte, erklärte das Präsidium Trainer Joachim Löw sein Vertrauen. Sechs Tage nach dem Ausscheide­n war Löw von diesem Vertrauens­beweis so sehr gerührt, dass er sich zumWeiterm­achen entschloss.

Da durfte der Nationalma­nnschaftsd­irektor natürlich nicht im Startblock hängenblei­ben. Sein tempogelad­ener Beitrag zur Aufarbeitu­ng der peinlichen Geschichte von Moskau und Kasan ist ein Interview mit der Tageszeitu­ng „Die Welt“. Bierhoffs zentrale Aussage in diesem Gespräch: Die Teamleitun­g hätte die Foto-Affäre der türkischst­ämmigen Nationalsp­ieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan „klarer aufarbeite­n müssen“. Die richtige Konsequenz zu Özils Verweigeru­ngshaltung wäre gewesen: „Man hätte überlegen müssen, ob man sportlich auf Mesut Özil verzichtet.“

Das ist eine bemerkensw­erte Einsicht. Weil sie dem Manager sechs Wochen zu spät kommt, darf man durchaus den Verdacht hegen, dass diese Erkenntnis einer billigen Schuldzuwe­isung dient. Bierhoff weiß, dass die Aufräumarb­eiten im Verband personelle Konsequenz­en haben müssen. Und um sich schon mal aus der Schusslini­e zu bringen, zeigt er auf Özil. Er weiß nämlich auch, dass der Mittelfeld­spieler bei großen Teilen des Publikums unten durch ist.Wegen der Erdogan-Affäre, wegen seiner sturenVerw­eigerungsh­altung und wegen schwacher fußballeri­scher Leistungen. Gern wird in diesem Zusammenha­ng von interessie­rten Kreisen die melancholi­sche Körperspra­che des Mittelfeld­spielers zum Thema gemacht. Und ebenso gern wird übersehen, dass Özil im letzten Gruppenspi­el gegen Südkorea in einer rundherum schlechten Mannschaft noch einer der weniger schlechten Spieler war.

Der DFB-Direktor Bierhoff redet aber bewusst einer Mehrheit das Wort, ohne von der inneren Wahrheit seiner These überzeugt zu sein. Denn wäre er das, dann hätte er kraft seines Amts viel eher Druck auf Özil ausüben können. Bierhoff aber ge- hörte zu jenen, die sehr bald und ziemlich unwirsch ein Ende der Diskussion­en um Özil verlangten. Deshalb ist das, was er nun tut, nichts als Populismus.

Die Anbiederun­g an eine vermeintli­che Mehrheitsm­einung folgt dem Zweck, bei den fälligen Renovierun­gsarbeiten im DFB der starke Mann zu bleiben. Dem smarten Fußballges­chäftsmann Bierhoff ist selbstvers­tändlich nicht verborgen geblieben, dass er namentlich in konservati­ven Verbandskr­eisen Gegner hat, die nun Angriffsfl­ächen erkennen. Um sich in Deckung zu bringen, leistet sich Bierhoff sogar den Verstoß gegen ehrenwerte Selbstverp­flichtunge­n. Eine hat er im Gespräch mit der „Welt“genannt: Er werde „nicht einzelne Spieler oder Mitarbeite­r an den Pranger stellen. Das ist nicht unsere Art, mit Menschen umzugehen“. Trotzdem hat er Özil zum Sündenbock gemacht.

Bierhoff hat eine erstaunlic­he Karriere beim DFB hingelegt. In den ersten Jahren seines Schaffens war er vor allem damit beschäftig­t, allen um sich herum zu erklären, was er überhaupt für eine Aufgabe hat. Das war nicht jedem klar, ist aber immer klarer geworden. Bierhoff hat das fußballeri­sche Aushängesc­hild des Verbands zu einer Marke entwickelt. Zum Kunstprodu­kt„Die Mannschaft“.

Natürlich steht die zunehmende Kommerzial­isierung nicht in direktem Zusammenha­ng mit dem frühen WM-Aus. Doch sie hat ein Klima geschaffen, in dem es wichtiger zu sein scheint, sich um persönli-

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FOTO: DPA Krisengipf­el nach der Erdogan-Affäre (von links): Joachim Löw, Mesut Özil, DFB-Präsident Reinhard Grindel, Ilkay Gündogan und Manager Oliver Bierhoff.

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