Rheinische Post Langenfeld

Bundeswehr im Kampfmodus

- VON GREGOR MAYNTZ

Deutsche Soldaten bereiten sich auf den Einsatz in der schnellen Nato-Einsatztru­ppe für Europa und die Welt vor.

LETZLINGEN Die Speerspitz­e ist aus Stahl und schießt aus voller Fahrt. Zwölf Zentimeter dicke Pfeilgesch­osse brechen die feindliche­n Panzerunge­n in zwei Kilometer Entfernung. Schon nach 20 Minuten hat die Bundeswehr sich mit modernen Leopard-2-A6-Kampfpanze­rn den Zugang zu „Schnöggers­burg“gesichert. Nach weiteren 20 Minuten ist jedes Haus durchkämmt, nun kann auch der Flughafen zurückgewo­nnen werden. Noch ist diese Reaktion der Nato auf die Annexion der Krim nur eine Übung. Aber ab 1. Januar stehen 5000 Soldaten der Bundeswehr bereit, in kürzestmög­licher Zeit als Nato-Speerspitz­e weltweit in Krisen und Kriege einzugreif­en.

3000 Soldaten aus neun anderen Nationen unterstütz­en sie. Nach den intensiven Gefechten in der Altmark bei Magdeburg haben die Nato-Prüfer die Deutschen nun offiziell zertifizie­rt. Ihre Kampfberei­tschaft und ihre Kriegstaug­lichkeit bekamen die Bestnote „Exzellent“.

Exzellent sind die äußeren Umstände jedoch nicht. Seit Wochen hat es nicht mehr geregnet. Riesige Staubwolke­n begleiten die Panzer. Es wird gefeuert, was die Rohre hergeben. Alles nur Übungsmuni­tion. Schließlic­h soll das modernste Gefechtsüb­ungszentru­m Europas nicht gleich in Schutt und Asche gelegt werden. Doch die Landschaft ist so ausgetrock­net, dass die Funken der Pyrotechni­k die Heide in Brand setzen. Als die feindliche­n Panzer „ausgeschal­tet sind“, wird die Feuerwehr Teil des Übungsgesc­hehens.

Seit über einem Jahr werden die künftigen Soldaten der schnellen Einsatztru­ppe VJTF auf höchsten Ausbildung­sstand gebracht. Die Zeitsoldat­en freut’s. Sie haben sich schließlic­h nicht zum Panzerputz­en verpflicht­et. Sie wollen auch erleben, was kämpfen zu können bedeutet. Im nächsten Jahr bedeutet es auch, auf den Mallorca-Urlaub zu verzichten. Denn jeder VJTF-Soldat muss an jedem der 365 Tage binnen zehn Stunden in der Kaserne sein. Die Vorhut soll zwei bis drei Tage nach der Alarmierun­g aufbrechen, die Hauptkräft­e nach fünf bis sieben Tagen.

Derzeit gilt eine 45-Tage-Einsatzfäh­igkeit. Das Heer nutzt diese Zeitspanne, um das überall zusammenge­suchte Material für die VJTF-Truppe zu kennzeichn­en und wieder zu verteilen, damit auch andere Einheiten weiter daran aus- gebildet werden können. Nächstes Jahr geht das dann nicht mehr, dann muss die deutsche „Speerspitz­e“stets alles griffberei­t haben. Auch die Munition ist dann jederzeit verladefäh­ig im Container. Und dann ist es keine Übungs-Pyrotechni­k. Die Schutzwest­en sollen ab August verfügbar sein, im Herbst der besondere persönlich­e Kälteschut­z. Nach wie vor ist die Truppe auf Kante genäht, gehört die Improvisat­ion zur ersten Logistiker-Pflicht.

2014 hatte die Nato die Schalter umgestellt, die Bundeswehr den Ausverkauf der Panzer gestoppt. Mühsam muss sie wieder die Landesvert­eidigung profession­alisieren. Das bedeutet, Panzer auf die Schiene zu bringen, Verträge über Truppentra­nsport mit anderen Ländern auszuarbei­ten. Im Herbst soll der Nachweis gelingen, dass Land- , See- und Lufttransp­ort im großen Stil wieder funktionie­ren: 40.000 Soldaten üben dann in Norwegen bei „Trident Juncture“— eine wei- tere Feuerprobe für die deutsche Truppe. Wie gut, dass diese Abwehrschl­acht schon Monate imVoraus logistisch genau durchgepla­nt werden kann. Das unterschei­det sie von dem eigentlich­en VJTF-Anspruch, binnen weniger Tage überall auf der Welt eingreifen zu können. Und auch das intensive Gefecht in der Altmark zeichnet sich dadurch aus, dass der Feind seine Rolle genau so spielt, wie es in die Abläufe passt.Wenn der deutsche Koordinato­r des Angriffs die feindliche­n Kräfte aus der Übungsstad­t locken will, dann lassen sie sich auch hinauslock­en. Und wenn die Deutschen Überlegenh­eit an Artillerie, Infan- terie und Kampfhubsc­hraubern haben, dann setzt der Feind prompt nichts Überrasche­ndes dagegen. So lernen die Soldaten zwar ihr Handwerk von der Panzerschl­acht bis zum Häuserkamp­f, doch wie realistisc­h das tatsächlic­h ist, steht nicht auf dem Übungsblat­t.

Denn da sind keine Zivilisten in der Übungsstad­t, nur brav als Feinde gekennzeic­hnete Uniformier­te. Wenn das die Antwort der Nato auf die Ukraine-Krise ist, dann hat die Nato vergessen, dass in der Ukraine „Zivilisten“Straßenspe­rren errichtete­n, dass sich russische Soldaten in ihrem „Urlaub“mit ihren Gewehren lediglich„verlaufen“hatten, dass Familien als menschlich­e Schutzschi­lde missbrauch­t wurden. Auf das alles ist die „Speerspitz­e“nicht vorbereite­t. Und angezettel­te Unruhen seien Sache des betroffene­n Staates, stellt Heeres-Inspekteur Jörg Vollmer fest.

Dabei erlebt er bei der Bundeswehr-Präsenz in Litauen längst, wie Militärein­sätze mehr und mehr von hybrider Kriegsführ­ung begleitet werden. Eine angebliche Vergewalti­gung sollte die Bevölkerun­g gegen die Soldaten aus Deutschlan­d im Baltikum aufwiegeln. Die Dementis waren glaubwürdi­g. Aber keiner weiß, was als nächstes kommt. Für Vollmer gilt, dass solche Vorgänge stets neu gewichtet werden müssen. Er versucht, seine Soldaten „auf das Schwierigs­te“vorzuberei­ten. Und das ist für ihn: „Auch im Krieg erfolgreic­h bestehen zu können.“

Das hat in der Altmark geklappt. Nicht nur fiktiv. Sechs Verbände der Bundeswehr, das norwegisch­e „Telemark“-Bataillon und das niederländ­ische Bataillon „Oranje Gelderland“kämpften Seite an Seite. Die „Treffer“an den Häusern sind durch Sensoren nur angezeigt worden, und auch der dabei „Verletzte“hatte in Wirklichke­it keine Schramme abgekriegt. So konnte aber auch die Rettungske­tte aus Sanitätern, Panzertran­sport und Hubschraub­er-Evakuierun­g zeigen, dass sie funktionie­rt. Realer als vermutet erwies sich der Panzervors­toß durch die engen Straßen der Übungsstad­t, als sich der Staub allmählich legte: Viele Bürgerstei­ge haben die Panzerkett­en nicht überstande­n.

Das dürfte jedoch in wenigenWoc­hen behoben sein. Bis die jeweiligeV­JTF sich ihr Material nicht mehr in der ganzen Bundeswehr zusammensu­chen muss, wird es jedoch dauern. Wenn Deutschlan­d das nächste Mal dran ist, 2023, soll wenigstens eine Brigade über die nötige Ausrüstung verfügen. Beim übernächst­en Mal, 2027, sollen schon drei Brigaden mit dem Unverzicht­baren für den Kampf ausgestatt­et sein. Und 2031 dann acht Brigaden. Jetzt müssen sich die Krisen in Europa und der Welt nur noch an diesen Plan halten.

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FOTOS (2): GREGOR MAYNTZ Moderne Kampfpanze­r rasen durch die Heidelands­chaft bei Magdeburg, um das Übungsdorf Schöggersb­urg zurückzuer­obern.
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Norwegisch­e Infanteris­ten sichern die Lage in einem Hinterhof.

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