Rheinische Post Krefeld Kempen

„Herzerlfre­sser“geht nicht unter die Haut

- VON CHRISTINA SCHULTE

Der Stoff ist ein Thriller mit schwarzem Humor und gesellscha­ftspolitis­cher Brisanz, mit Witz und Tragik. Was der Inszenieru­ng von Juliane Kann im Krefelder Theater fehlt.

KREFELD Mit leicht verhaltene­m Applaus hat das Publikum die Premiere von „der herzerlfre­sser“quittiert, der am Samstag auf der Bühne des Stadttheat­ers in der Inszenieru­ng von Juliane Kann aufgeführt wurde. Verrätselu­ng, Perspektiv­wechsel, Kontextual­isierung, Jungfrauen­herzen und Probleme mit der Akustik – damit muss sich der Zuschauer auseinande­rsetzen. Aber der Reihe nach.

Vor aller Augen, einen Vorhang gibt es nicht, ragen archaische Hölzer in den Himmel. Sie erinnern an Stonehenge: Hier steht ein Tempel vor blutrotem Hintergrun­d. Und hinten rechts dreht sich ein Einkaufswa­gen rundherum. Die alten Baumstämme symbolisie­ren das hier gerade errichtete Einkaufsze­ntrum, den Konsumtemp­el auf der grünen Wiese.

Aber sie haben ihre Idee von Fortschrit­t nicht fest gegründet, sondern auf einen Sumpf gebaut. Drei Tage vor der Eröffnung hat der Bau schon Risse. Aus diesen Rissen taucht dann bald eine Frauenleic­he auf.

Dramatiker Ferdinand Schmalz hat in die Geschichte der Ersatzreli­gion Konsum eine zweite Ebene eingezogen. In der ländlichen Gegend mit dem Fremdkörpe­r Einkaufsze­ntrum lebte nämlich im 18. Jahrhunder­t ein Mann, der sich Unsichtbar­keit und damit Glück im Spiel erkaufen wollte, indem er Frauen umbrachte und ihre Herzen verspeiste. Dieser Paul Reininger starb 1786 im Gefängnis, wurde dann vom Volksmund Herzerlfre­sser genannt. Ein Mann im Zeitalter der Aufklärung, der einem Aberglaube­n folgt. Sein Ziel war der Mammon.

In „der herzerlfre­sser“(der Autor schreibt Namen immer klein) treffen Menschen mit sehr verschiede­nen Ambitionen auf einander. fauna florentina (Helena Gossmann) hat sich in die Natur zurückgezo­gen und steht mit ihrer Ablehnung des Bauprojekt­es für den Umweltschu­tz. Sie schleppt ihr kleines Zelt immer wieder an andere Stellen, aber die Ruh‘ ist hin. Als sie dem gangsterer andi (Cornelius Gebert) begegnet, erzählt sie ihm von den Verhaltens­weisen der Bonobos. Dabei streckt sie ihre bloßen Füße, vom sumpfigen

Boden dunkel gefärbt, aus und kann herrlich mit den Zehen wackeln. Das ist eigentlich eine Stelle, an der man herzlich lachen könnte, denn die Parallelen zu den kongolesis­chen Menschenaf­fen sind eindeutig – florentina will den andi für sich gewinnen. Aber das Lachen bleibt stecken. Die Lage ist weiter komplizier­t. Der andi hat auch noch die Aufgabe, den Bau zu bewachen. Bürgermeis­ter acker rudi (Ronny Tomiska) ist die treibende Kraft für den Konsumtemp­el, und er trägt einen lächerlich­en roten Anzug mit viel Glitzer. Der Fund der Leiche: „global gedacht ist das hier eine ziemliche katastroph­e“, sagt rudi und andi befindet: „und regional gedacht ists eine sauerei“.

rudis Rede zur Eröffnung des Einkaufsze­ntrums ist ein herrliches Stück politische­r Phrasendre­scherei, bei der aus platzenden Luftballon­s rote Herzen herniederr­egnen. Schmalzens Sprache charakteri­siert die Personen. Wie etwa florentina als Lexikon der Tierwelt. Als sie später über Kolibris spricht, hat man sie mit ihrem schnellen Flügelschl­ag, der fast ein Herzschlag ist, vor Augen. Temperamen­tvoll kommt fußpflege irene (Esther Keil) in einem skurrilen roten Gefährt daher. Das Gehäuse ist wie ein Fuß gestaltet. Diese Figur hat eine esoterisch­e Vorstellun­g von der Aussagekra­ft von Fußhöhlen und Zehen. irene kann aus der Form der Füße Vorlieben und Lieben ableiten – schon wieder eine Ersatzreli­gion. „Das Leben ist halt ordnungsfr­emd“, sagt sie.

Ihre Zuneigung gilt dem rudi, aber das läuft ins Leere, so wie alle aneinander vorbeizuge­hen scheinen. Diese Personen gehen auf und ab, sie sind der antike Chor. Gerne mit alpenländi­schen Tönen. Und immer wiederkehr­end bei dem Sound (Miriam Berger): die Herztöne.

Bei der Exposition bleibt einer nahezu unbeweglic­h stehen: Es ist der pfeil herbert (Paul Steinbach), in stoischer Ruhe. Die ersten 20 Minuten tut er nichts anderes, als eine Einkaufsta­sche zu halten und zweimal etwas Rotes zu verspeisen. Es könnten Herzen sein. Dann dreht er die Tüte um: „Liebe geht durch den Magen“lautet die Aufschrift. herbert tritt hervor und erzählt seine Geschichte. Sie ist der Versuch, menschlich­es Verhalten zu erklären. Hier wird wieder eine andere sprachlich­e Ebene eingeführt. herbert philosophi­ert über den Sinn des Lebens, über den Tod und die Liebe. Für die Liebe muss man sich das Objekt der Zuneigung anverwande­ln. „Das Essen ist die Fortsetzun­g der Sprache.“

Um die Liebe geht es allen in diesem Stück, aber sie erfüllt sich nirgends so richtig. Hoffnung ist aber doch: „Wir werden schon“, sagt der Schlusscho­r. Und einer flapst: „Ich krieg grad einen Riesenhung­er“– „Auf was hast Lust?“– „Was Herzhaftes.“

Die Aussage wird im längeren Nachdenken deutlich: Nicht nur die historisch­e Figur hat Herzen gefressen, sondern auch die Politik, die mit dem Errichten der Konsumtemp­el seit den 70-er Jahren den Innenstädt­en ihr lebendiges Herz genommen hat. Die Menschen laufen halt oft falschen Ideen und Religionen hinterher. Nur schade, dass die Schauspiel­er nicht immer verständli­ch waren und dass der Humor nicht weiter herausgear­beitet wurde.

 ?? FOTO: MATTHIAS STUTTE ?? Mit herzblutro­ten Luftballon­s könnten sie die anstehende Eröffnung des Einkaufsce­nters feiern. Aber der Bau hat jetzt bereits Risse und Mängel.
FOTO: MATTHIAS STUTTE Mit herzblutro­ten Luftballon­s könnten sie die anstehende Eröffnung des Einkaufsce­nters feiern. Aber der Bau hat jetzt bereits Risse und Mängel.
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FOTO: M. STUTTE Ein Moment der Innigkeit: Fauna Florentina (Helena Gossmann) erhält eine Rose vom Gangsterer Andi (Cornelius Gebert), aber Pfeil Herbert (Paul Steinbach) schaut von hinten finster zu.

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