Rheinische Post Krefeld Kempen
„Herzerlfresser“geht nicht unter die Haut
Der Stoff ist ein Thriller mit schwarzem Humor und gesellschaftspolitischer Brisanz, mit Witz und Tragik. Was der Inszenierung von Juliane Kann im Krefelder Theater fehlt.
KREFELD Mit leicht verhaltenem Applaus hat das Publikum die Premiere von „der herzerlfresser“quittiert, der am Samstag auf der Bühne des Stadttheaters in der Inszenierung von Juliane Kann aufgeführt wurde. Verrätselung, Perspektivwechsel, Kontextualisierung, Jungfrauenherzen und Probleme mit der Akustik – damit muss sich der Zuschauer auseinandersetzen. Aber der Reihe nach.
Vor aller Augen, einen Vorhang gibt es nicht, ragen archaische Hölzer in den Himmel. Sie erinnern an Stonehenge: Hier steht ein Tempel vor blutrotem Hintergrund. Und hinten rechts dreht sich ein Einkaufswagen rundherum. Die alten Baumstämme symbolisieren das hier gerade errichtete Einkaufszentrum, den Konsumtempel auf der grünen Wiese.
Aber sie haben ihre Idee von Fortschritt nicht fest gegründet, sondern auf einen Sumpf gebaut. Drei Tage vor der Eröffnung hat der Bau schon Risse. Aus diesen Rissen taucht dann bald eine Frauenleiche auf.
Dramatiker Ferdinand Schmalz hat in die Geschichte der Ersatzreligion Konsum eine zweite Ebene eingezogen. In der ländlichen Gegend mit dem Fremdkörper Einkaufszentrum lebte nämlich im 18. Jahrhundert ein Mann, der sich Unsichtbarkeit und damit Glück im Spiel erkaufen wollte, indem er Frauen umbrachte und ihre Herzen verspeiste. Dieser Paul Reininger starb 1786 im Gefängnis, wurde dann vom Volksmund Herzerlfresser genannt. Ein Mann im Zeitalter der Aufklärung, der einem Aberglauben folgt. Sein Ziel war der Mammon.
In „der herzerlfresser“(der Autor schreibt Namen immer klein) treffen Menschen mit sehr verschiedenen Ambitionen auf einander. fauna florentina (Helena Gossmann) hat sich in die Natur zurückgezogen und steht mit ihrer Ablehnung des Bauprojektes für den Umweltschutz. Sie schleppt ihr kleines Zelt immer wieder an andere Stellen, aber die Ruh‘ ist hin. Als sie dem gangsterer andi (Cornelius Gebert) begegnet, erzählt sie ihm von den Verhaltensweisen der Bonobos. Dabei streckt sie ihre bloßen Füße, vom sumpfigen
Boden dunkel gefärbt, aus und kann herrlich mit den Zehen wackeln. Das ist eigentlich eine Stelle, an der man herzlich lachen könnte, denn die Parallelen zu den kongolesischen Menschenaffen sind eindeutig – florentina will den andi für sich gewinnen. Aber das Lachen bleibt stecken. Die Lage ist weiter kompliziert. Der andi hat auch noch die Aufgabe, den Bau zu bewachen. Bürgermeister acker rudi (Ronny Tomiska) ist die treibende Kraft für den Konsumtempel, und er trägt einen lächerlichen roten Anzug mit viel Glitzer. Der Fund der Leiche: „global gedacht ist das hier eine ziemliche katastrophe“, sagt rudi und andi befindet: „und regional gedacht ists eine sauerei“.
rudis Rede zur Eröffnung des Einkaufszentrums ist ein herrliches Stück politischer Phrasendrescherei, bei der aus platzenden Luftballons rote Herzen herniederregnen. Schmalzens Sprache charakterisiert die Personen. Wie etwa florentina als Lexikon der Tierwelt. Als sie später über Kolibris spricht, hat man sie mit ihrem schnellen Flügelschlag, der fast ein Herzschlag ist, vor Augen. Temperamentvoll kommt fußpflege irene (Esther Keil) in einem skurrilen roten Gefährt daher. Das Gehäuse ist wie ein Fuß gestaltet. Diese Figur hat eine esoterische Vorstellung von der Aussagekraft von Fußhöhlen und Zehen. irene kann aus der Form der Füße Vorlieben und Lieben ableiten – schon wieder eine Ersatzreligion. „Das Leben ist halt ordnungsfremd“, sagt sie.
Ihre Zuneigung gilt dem rudi, aber das läuft ins Leere, so wie alle aneinander vorbeizugehen scheinen. Diese Personen gehen auf und ab, sie sind der antike Chor. Gerne mit alpenländischen Tönen. Und immer wiederkehrend bei dem Sound (Miriam Berger): die Herztöne.
Bei der Exposition bleibt einer nahezu unbeweglich stehen: Es ist der pfeil herbert (Paul Steinbach), in stoischer Ruhe. Die ersten 20 Minuten tut er nichts anderes, als eine Einkaufstasche zu halten und zweimal etwas Rotes zu verspeisen. Es könnten Herzen sein. Dann dreht er die Tüte um: „Liebe geht durch den Magen“lautet die Aufschrift. herbert tritt hervor und erzählt seine Geschichte. Sie ist der Versuch, menschliches Verhalten zu erklären. Hier wird wieder eine andere sprachliche Ebene eingeführt. herbert philosophiert über den Sinn des Lebens, über den Tod und die Liebe. Für die Liebe muss man sich das Objekt der Zuneigung anverwandeln. „Das Essen ist die Fortsetzung der Sprache.“
Um die Liebe geht es allen in diesem Stück, aber sie erfüllt sich nirgends so richtig. Hoffnung ist aber doch: „Wir werden schon“, sagt der Schlusschor. Und einer flapst: „Ich krieg grad einen Riesenhunger“– „Auf was hast Lust?“– „Was Herzhaftes.“
Die Aussage wird im längeren Nachdenken deutlich: Nicht nur die historische Figur hat Herzen gefressen, sondern auch die Politik, die mit dem Errichten der Konsumtempel seit den 70-er Jahren den Innenstädten ihr lebendiges Herz genommen hat. Die Menschen laufen halt oft falschen Ideen und Religionen hinterher. Nur schade, dass die Schauspieler nicht immer verständlich waren und dass der Humor nicht weiter herausgearbeitet wurde.