Rheinische Post Krefeld Kempen
Ungewöhnliche Vögel in Krefeld gesichtet
Im „Naturspiegel“geht es meist um Beobachtungen an den Krickenbecker Seen oder der Bislicher Insel. Diesmal ist auch Krefeld dabei.
KREFELD Eigentlich sind es Vögel, die hier normalerweise nicht leben: Namen wie Mittelsäger, Eis- und Sterntaucher oder Girlitz hört man hier so gut wie nie. Das Besondere ist: Mit dem Mittelsäger, dem Eis- und dem Sterntaucher sind gleich drei Arten vertreten, die wesentlich von Fischen, Krebsen und Fröschen leben. Dahinter steckt eine gute Nachricht: Vater Rhein ist wieder Lebensraum für viele Arten, und sogar der Krefelder Industriehafen ist Jagdrevier für fischfressende Vögel. „Die wissen genau, wo Futter ist“, sagt Peter Malzbender von der Fachgruppe Ornithologie beim Nabu, „in der Natur geht es immer ums Überleben.“Die Sichtungen sind in der neuen Ausgabe der Nabu-Zeitschrift „Naturspiegel“verzeichnet, und zwar in der Rubrik „Vogel-Highlights“. Dokumentiert werden Beobachtungen während des Winters.
Der Eistaucher also: Er ist als Nationalvogel Kanadas auf der EinDollar-Münze abgebildet – nach seinem englischen Namen wird die Münze auch Loonie genannt. Er überwintert normalerweise in Nordsee und Atlantik – dass er sich ins Landesinnere Westeuropas verirrt, ist ungewöhnlich. Wobei „verirren“das falsche Wort ist: Sorgen, dass die Vögel nicht mehr in ihre angestammten Lebensräume zurückfinden, muss man sich nicht machen. „Sie glauben nicht, was Vögel für einen Orientierungssinn haben“, sagt der Nabu-Experte Malzbender dazu und nennt Gänse als Beispiel: „Junge Gänse fliegen mit ihren Eltern zum Überwintern und merken sich dann 6000 Orientierungspunkte.“Auch das Magnetfeld der Erde ist den Tieren ein innerer Kompass. Und wie kommen diese Vögel überhaupt an den Niederrhein? „Wahrscheinlich sind sie mit einem Pulk Vögel mitgeflogen“, lautet die Antwort. Am Ende zählt wohl die Spur des Futters.
Der Sterntaucher hat seinen Namen von seinem Wintergefieder, das ein feines Sternchenmuster aufweist. Kopf und Hals präsentieren sich in feinem Hellgrau, die Vorderseite an der Kehle ist in schönem Braun gefärbt. Sterntaucher brüten wie Eistaucher in Taiga und Tundra und überwintern normalerweise an Nord- und Ostsee. Eis- und Sterntaucher sind, wie der Name schon sagt, gute Taucher, die unter Wasser bis zu 60 Meter zurücklegen können.
Ungewöhnlich ist auch der Besuch des Mittelsägers, der ebenfalls sonst ausschließlich im Norden Deutschlands überwintert. Der Name Säger kommt daher, dass diese Arten an den Schnabelinnenseiten feine Zähnchen haben. Auch er lebt in Taiga und Tundra in Skandinavien, Russland oder Großbritannien. Auch der Mittelsäger ist ein ausgezeichneter Taucher.
Einen ganz anderen, aber ähnlich ungewöhnlichen Gast hatte Gartenstadt: Dort sind gleich zwei Girlitze gesehen worden, die den ganzen Januar über ein Futterhäuschen aufgesucht haben – ein für diese Finkenart ganz und gar ungewöhnliches Verhalten, das widerspiegelt, dass Girlitze in freier Landschaft wohl zu wenig Futter finden. Sie leben sonst in Feld und Flur, lieben abwechslungsreiche, kleinteilig strukturierte Landschaften, in denen sich freies Feld und Waldpartien ablösen. Der Girlitz ernährt sich von den verschiedensten Samen, etwa von Hirtentäschel, Löwenzahn und Ampfer sowie Knospen von Sträuchern (übrigens allesamt auf dem Egelsberg vertreten). Wird der Landbewohner Girlitz zum Städter? Lernfähig ist er, das haben die beiden Gartenstädter Gäste gezeigt.
Der Girlitz wird zum Städter, Küstenbewohner mutieren zu Binnenbesuchern – hat das jetzt auch mit dem Klimawandel zu tun? Schwer zu sagen. Es gibt Lebensraumverschiebungen, die wie beim Girlitz mit dem Nahrungsangebot in Wald und Flur zu tun haben – der Verlust an Insekten ist ja bekannt und wurde vom Krefelder Entomologischen Verein enthüllt, die Entdeckung hat an Brisanz nichts verloren. „Ohne Insekten“, sagt Vogelexperte Malzbender, „ist auch mit uns Schluss.“Es gibt auch Bewegungen im Zusammenhang mit der Klimaerwärmung. Malzbender nennt ein Beispiel: Der wärmeliebende Bienenfresser, der zum Überwintern in den Süden Afrikas zieht und bevorzugt im warmen Südeuropa lebt, wird immer häufiger auch in Deutschland gesichtet: auch in NRW. Im Jahr 2020 berichtete die Nordrhein-Westfälische Ornithologengesellschaft von der ersten Bienenfresser-Brut im Kreis Wesel – die Rede ist von sechs Bienenfressern im Hünxe. Nach anderen Berichten soll es seit mehr als einem Jahrzehnt auch im Brachter Wald bei Brüggen Brutpaare geben.