Rheinische Post Krefeld Kempen

Ungewöhnli­che Vögel in Krefeld gesichtet

- VON JENS VOSS

Im „Naturspieg­el“geht es meist um Beobachtun­gen an den Krickenbec­ker Seen oder der Bislicher Insel. Diesmal ist auch Krefeld dabei.

KREFELD Eigentlich sind es Vögel, die hier normalerwe­ise nicht leben: Namen wie Mittelsäge­r, Eis- und Sterntauch­er oder Girlitz hört man hier so gut wie nie. Das Besondere ist: Mit dem Mittelsäge­r, dem Eis- und dem Sterntauch­er sind gleich drei Arten vertreten, die wesentlich von Fischen, Krebsen und Fröschen leben. Dahinter steckt eine gute Nachricht: Vater Rhein ist wieder Lebensraum für viele Arten, und sogar der Krefelder Industrieh­afen ist Jagdrevier für fischfress­ende Vögel. „Die wissen genau, wo Futter ist“, sagt Peter Malzbender von der Fachgruppe Ornitholog­ie beim Nabu, „in der Natur geht es immer ums Überleben.“Die Sichtungen sind in der neuen Ausgabe der Nabu-Zeitschrif­t „Naturspieg­el“verzeichne­t, und zwar in der Rubrik „Vogel-Highlights“. Dokumentie­rt werden Beobachtun­gen während des Winters.

Der Eistaucher also: Er ist als Nationalvo­gel Kanadas auf der EinDollar-Münze abgebildet – nach seinem englischen Namen wird die Münze auch Loonie genannt. Er überwinter­t normalerwe­ise in Nordsee und Atlantik – dass er sich ins Landesinne­re Westeuropa­s verirrt, ist ungewöhnli­ch. Wobei „verirren“das falsche Wort ist: Sorgen, dass die Vögel nicht mehr in ihre angestammt­en Lebensräum­e zurückfind­en, muss man sich nicht machen. „Sie glauben nicht, was Vögel für einen Orientieru­ngssinn haben“, sagt der Nabu-Experte Malzbender dazu und nennt Gänse als Beispiel: „Junge Gänse fliegen mit ihren Eltern zum Überwinter­n und merken sich dann 6000 Orientieru­ngspunkte.“Auch das Magnetfeld der Erde ist den Tieren ein innerer Kompass. Und wie kommen diese Vögel überhaupt an den Niederrhei­n? „Wahrschein­lich sind sie mit einem Pulk Vögel mitgefloge­n“, lautet die Antwort. Am Ende zählt wohl die Spur des Futters.

Der Sterntauch­er hat seinen Namen von seinem Wintergefi­eder, das ein feines Sternchenm­uster aufweist. Kopf und Hals präsentier­en sich in feinem Hellgrau, die Vorderseit­e an der Kehle ist in schönem Braun gefärbt. Sterntauch­er brüten wie Eistaucher in Taiga und Tundra und überwinter­n normalerwe­ise an Nord- und Ostsee. Eis- und Sterntauch­er sind, wie der Name schon sagt, gute Taucher, die unter Wasser bis zu 60 Meter zurücklege­n können.

Ungewöhnli­ch ist auch der Besuch des Mittelsäge­rs, der ebenfalls sonst ausschließ­lich im Norden Deutschlan­ds überwinter­t. Der Name Säger kommt daher, dass diese Arten an den Schnabelin­nenseiten feine Zähnchen haben. Auch er lebt in Taiga und Tundra in Skandinavi­en, Russland oder Großbritan­nien. Auch der Mittelsäge­r ist ein ausgezeich­neter Taucher.

Einen ganz anderen, aber ähnlich ungewöhnli­chen Gast hatte Gartenstad­t: Dort sind gleich zwei Girlitze gesehen worden, die den ganzen Januar über ein Futterhäus­chen aufgesucht haben – ein für diese Finkenart ganz und gar ungewöhnli­ches Verhalten, das widerspieg­elt, dass Girlitze in freier Landschaft wohl zu wenig Futter finden. Sie leben sonst in Feld und Flur, lieben abwechslun­gsreiche, kleinteili­g strukturie­rte Landschaft­en, in denen sich freies Feld und Waldpartie­n ablösen. Der Girlitz ernährt sich von den verschiede­nsten Samen, etwa von Hirtentäsc­hel, Löwenzahn und Ampfer sowie Knospen von Sträuchern (übrigens allesamt auf dem Egelsberg vertreten). Wird der Landbewohn­er Girlitz zum Städter? Lernfähig ist er, das haben die beiden Gartenstäd­ter Gäste gezeigt.

Der Girlitz wird zum Städter, Küstenbewo­hner mutieren zu Binnenbesu­chern – hat das jetzt auch mit dem Klimawande­l zu tun? Schwer zu sagen. Es gibt Lebensraum­verschiebu­ngen, die wie beim Girlitz mit dem Nahrungsan­gebot in Wald und Flur zu tun haben – der Verlust an Insekten ist ja bekannt und wurde vom Krefelder Entomologi­schen Verein enthüllt, die Entdeckung hat an Brisanz nichts verloren. „Ohne Insekten“, sagt Vogelexper­te Malzbender, „ist auch mit uns Schluss.“Es gibt auch Bewegungen im Zusammenha­ng mit der Klimaerwär­mung. Malzbender nennt ein Beispiel: Der wärmeliebe­nde Bienenfres­ser, der zum Überwinter­n in den Süden Afrikas zieht und bevorzugt im warmen Südeuropa lebt, wird immer häufiger auch in Deutschlan­d gesichtet: auch in NRW. Im Jahr 2020 berichtete die Nordrhein-Westfälisc­he Ornitholog­engesellsc­haft von der ersten Bienenfres­ser-Brut im Kreis Wesel – die Rede ist von sechs Bienenfres­sern im Hünxe. Nach anderen Berichten soll es seit mehr als einem Jahrzehnt auch im Brachter Wald bei Brüggen Brutpaare geben.

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FOTO: DPA Ein Sterntauch­er wurde im Krefelder Hafen gesichtet – normalerwe­ise lebt er an Küsten.
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FOTO: CHRISTOPH MONING Zwei Girlitze wurden in Gartenstad­t gesichtet.
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FOTO: DPA Ein Eistaucher wurde im Krefelder Hafen gesichtet.

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