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Ukraine festigt Front
Präsident Selenskyj lässt Panzersperren und Schützengräben errichten. Das deutet auf einen Zermürbungskrieg hin.
PARIS (afp) Ein Jahr nach Russland hat die Ukraine damit begonnen, die Front zu befestigen. Auf 2000 Kilometern Länge sollten Befestigungsanlagen verstärkt und neue errichtet werden, kündigte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vor Kurzem an. Beobachter werten das als Zeichen, dass sich Kiew auf einen langen Krieg vorbereitet.
„Die Errichtung größerer Verteidigungsstellungen deutet auf einen Zermürbungskonflikt hin und bedeutet, dass jeder Versuch, sie zu durchbrechen, wahrscheinlich mit hohen Verlusten einhergehen wird“, kommentierte das britische Verteidigungsministerium die Ankündigung auf der Plattform X. Demnach soll die Front mit sogenannten Drachenzähnen – Panzersperren aus Beton – sowie Panzerabwehrgräben, Infanteriegräben und Minenfeldern befestigt werden.
Die Ukraine reagiert damit auf die Surowikin-Linie, die dreischichtige Befestigungsanlage, die die russische Armee im vergangenen Jahr im Osten errichtete. Sie bremst nicht nur den Vormarsch der ukrainischen Truppen, sondern macht es auch schwieriger, Gebiete einzunehmen. Das ukrainische Pendant dazu wird wahrscheinlich weniger tief und ausgefeilt ausfallen. Aber die Anlage soll helfen, den akuten Munitionsmangel bei der Verteidigung gegen Russland auszugleichen.
„Die ukrainischen Verantwortlichen sagen bereits, dass die Zeit der Schlüsselfaktor ist, der sie daran hindert, so etwas wie die SurowikinLinie
zu bauen“, sagt Iwan Klyszcz vom Internationalen Zentrum für Verteidigung und Sicherheit (ICDS). Aber diese Befestigungsanlage sei „notwendig, da die Ukraine aufgrund der Munitionsknappheit und der sinkenden Moral der Truppen eindeutig in die Defensive geraten ist“.
„Diese Art von Befestigungen haben sich in der Vergangenheit als effektiv erwiesen“, sagt Seth Jones vom US-Thinktank CSIS. Selenskyj könne damit seinem Ziel, „die Zahl der Toten und Verletzten auf russischer Seite zu maximieren“, näher kommen. Kriegsbeobachter in Russland, die die Nachrichtenagentur AFP kontaktierte, messen der ukrainischen Frontbefestigung wenig Bedeutung bei. Der geplante Bau „beweist, dass die Ukraine erkannt hat, dass ihre Offensive gescheitert ist. Der mögliche Erfolg der Anlage hängt von ihrer Qualität ab“, sagt der unabhängige Experte Alexander Chramtschichin.
„Hat die Ukraine genug Leute, um sie zu bauen und dann zu verteidigen?“, fragt Wassili Kaschin von der Hochschule für Wirtschaft in Moskau und erinnert an die Befestigungsanlage in Awdijiwka, die die russische Armee nicht daran hinderte, die Stadt im Februar einzunehmen. Seitdem konnten die Angreifer laut dem Institute for the Study of War (ISW ) von dort aus weiter in Richtung Westen vordringen.
„Die Ukrainer haben sich seit dem Sommer 2022 auf Befestigungen gestützt“, heißt es beim privaten britischen Nachrichtendienst Janes. „Der Unterschied heute ist, dass sie sich nicht mehr nur auf die unmittelbare Nähe zur Frontlinie konzentrieren werden“, sondern auch ihre hinteren Positionen befestigen wollen.
Kiew hofft, dass die Sanktionen Russland daran hindern werden, den Krieg noch lange in dieser Intensität fortzuführen. Und Moskau spekuliert darauf, dass die finanzielle und militärische Unterstützung des Westens für die Ukraine schwindet. Es geht für beide Seiten darum, durchzuhalten. „Das Kräfteverhältnis ändert sich und die Ukraine strebt eine Verlängerung des Konflikts bis mindestens 2025 an“,