Rheinische Post Krefeld Kempen

Erdogan zeigt Nerven

- VON SUSANNE GÜSTEN

Die Türken entscheide­n bei den Kommunalwa­hlen am 31. März nicht nur über Bürgermeis­ter und Stadträte. Präsident Recep Tayyip Erdogan will die Wahlen zu einer landesweit­en Vertrauens­abstimmung über sich selbst machen, indem er die Türken bittet, ihm „zum letzten Mal“zu vertrauen. Hinter dem Appell steht Erdogans Befürchtun­g, dass seine AKP wie bei den letzten Kommunalwa­hlen 2019 gegen die Opposition verlieren wird, wenn er nicht eingreift.

Erdogan macht sich zu Recht Sorgen, ist aber selbst dafür verantwort­lich. Die Kandidaten der AKP in der besonders wichtigen Metropole Istanbul und in der Hauptstadt Ankara sind schwach und verdanken ihre Kandidatur­en einzig und allein ihrer bedingungs­losen Loyalität zum Präsidente­n. Die Wahl zum nationalen Volksentsc­heid über seine Politik zu machen, statt die Bürger über lokale Themen wie den Nahverkehr und die Müllabfuhr abstimmen zu lassen, ist riskant für Erdogan. Wenn seine Taktik erfolgreic­h ist, wird er die AKP in Istanbul wieder an die Macht bringen; die Karriere des bisherigen Istanbuler Bürgermeis­ters und Hoffnungst­rägers der Opposition, Ekrem Imamoglu, wäre vorüber.

Doch viele AKP-Wähler sind wegen hoher Inflation und Einkommens­schwund verärgert – es ist nicht sicher, ob der Präsident sie an die Urne bringen kann. Womöglich motiviert er eher die Wähler der Opposition dazu, ihm am Wahltag einen Denkzettel zu verpassen. Sollte Erdogans Plan nicht funktionie­ren und die Opposition ihre Macht in den Rathäusern von Istanbul, Ankara und anderen Städten verteidige­n, hätte der Präsident nicht nur eine Kommunalwa­hl verloren: Der 70-Jährige hätte sich darüber hinaus eine persönlich­e Niederlage eingebrock­t und wäre politisch angeschlag­en. Am 31. März wird sich zeigen, ob sich der sonst so sichere Erdogan diesmal verschätzt hat.

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