Rheinische Post Krefeld Kempen
Zwischen Himmel und Hafen
St. Michaelis, als „Michel“nicht nur bei Seeleuten in aller Welt bekannt, thront wie ein Leuchtturm über der Elbe. Von der schönsten Barockkirche des Nordens ist der Weg nach Portugal so nah und so kurzweilig wie der zur Reeperbahn.
Horst Huhn und Josef Thöne sind wenig bekannte, aber wahrhaft hochgestellte Persönlichkeiten. Ihr Arbeitsplatz liegt gut 100 Meter über dem Wasser, im so genannten Türmerboden von St. Michaelis. Die Herren sind Turmbläser auf dem weltberühmten und besonders vor Ort viel geliebten Hamburger Michel. Seit 30 Jahren, bei jedem Wetter, an jedem Morgen, an jeden Abend und an Sonntagen zur Mittagszeit wärmen sie Seeleuten und St. Paulianern, Bürgern und Besuchern das Herz, wenn sie ihre Choräle in die vier Himmelsrichtungen trompeten.
Huhn und Thöne füllen eine Institution aus, die an dieser Kirche seit weit über 300 Jahren gepflegt wird. Julia Atze hingegen ist „erst“seit neun Jahren im Amt, einem Amt, das am Michel in dieser Form noch recht jung ist. 2013 war sie die erste Pastorin der Geschichte dieses Gotteshauses, die immerhin ins Jahr 1606 zurückreicht. „Der Michel hat mich begleitet, seit ich denken kann“, sagt die 49-jährige Hamburgerin, eine Frohnatur mit dem Gardemaß von 1,87 Meter.
Noch immer empfindet sie es als Gottesgeschenk, dass sie an dieser Symbolkirche, der alten Landmarke aller Seeleute, predigen und die Jugendarbeit leiten darf. Im Büro trägt sie Jeans und Pulli, im Gottesdienst
Talar und am Hals das Beffchen, den weißen „Mühlenrad-Kragen“aller hamburgischen Pastoren. Wenn sie Besuchern „ihre“Kirche zeigt – sie teilt sich die seelsorgerische Arbeit mit zwei Kollegen – blickt sie am liebsten vom Altarraum auf die Kanzel, Chor und die Orgeln, ein Arbeitsplatz zum Niederknien.
Der Michel gilt als schönste Barockkirche des Nordens. Der Innenraum, in Weiß und Gold gehalten, ist schlicht und festlich zugleich, gediegen heißt diese Kombination in Hamburg. Die korinthischen Pfeiler,
die historischen Kandelaber, die Bänke aus Teakholz, das alles atmet hanseatischen Stil, nirgendwo überladen, schon gar nicht protzig. Zweimal ist die Kirche abgebrannt, 1750 und 1906, im Zweiten Weltkrieg wurde sie stark beschädigt. Vor 30 Jahren musste das Kupferdach des Turms, bis dahin in klassischem Patina-Grün leuchtend, komplett renoviert werden. Und noch jedes Mal haben die Hamburger, alles andere als kniepige Pfeffersäcke, den Wiederaufbau und alle Reparaturen großzügig mit Spenden unterstützt.
Ganz oben: Der Turm, 132 Meter hoch, zeigt längst wieder deutliche Anzeichen des altvertrauten Grüns. Die Seeluft färbt das Kupfer schneller als anderswo. Die Uhr, mit acht Metern Durchmesser die größte ihrer Art in Deutschland, zeigt weithin sichtbar an, was die Stunde geschlagen hat. Wer sich die 453 Stufen zur Aussichtsplattform in 82 Meter Höhe ersparen will, nimmt den Fahrstuhl. Ein erster Aufzug ratterte bereits 1909 in die Höhe. Seit 2013 rauscht ein moderner Lift in 34 Sekunden fast geräuschlos nach oben. sich längst ein buntes Viertel vorwiegend iberischer und lusitanischer Herkunft etabliert. Mehr als 11.000 Portugiesen leben hier friedlich-fröhlich mit ihren spanischen Nachbarn zusammen. Gut zwei Dutzend Restaurants und Tapas-Bars ziehen Hamburger und Touristen aus aller Welt an.
Noch immer ist dieser südlich-heitere Kiez aber auch ein Viertel vorwiegend „kleiner“, fleißiger Leute unterschiedlicher Herkunft. Aus den Straßen unter- und oberhalb vom Michel, die in die eine Richtung zum Hafen, in die andere nach St. Pauli führen, stammen die meisten der etwa 3000 Gemeindemitglieder des Michels. „Kneipenwirte, Rentner, Handwerker, junge Akademiker, eine sympathische, vielfältige Mischung“, sagt Julia Axe über ihre Schäfchen.
Vom Michel und vom Portugiesenkiez sind die wichtigsten Attraktionen in der Nachbarschaft in ein paar Minuten in nur wenigen Schritten zu erreichen: die Landungsbrücken mit ihrer neuen Promenade, der Alte Elbtunnel, nach 111 Jahren „neu renoviert“, wie man so eine Auffrischung in Hamburg nennt, die Witwenwohnungen des Krameramts aus dem 17. Jahrhundert und schließlich am Sonntagmorgen der Fischmarkt. Er endet traditionsgemäß, wenn gegen zehn Uhr die Glocken von St. Michaelis anfangen zu läuten.