Rheinische Post Krefeld Kempen
Als Mittelerde noch jung war
nur denen vergönnt, die zum Teil tage- und nächtelang vor Filmstart in der Dezemberkälte vor den Lichtspielhäusern ausharrten. Der Fantasy-Hype erreichte dann 2002 und 2003 mit den Teilen zwei und drei seinen vorläufigen Höhepunkt, bevor schließlich „Der Hobbit“in den Jahren 2012 bis 2014 eine zweite Welle des Elben- und Ork-Hypes auslöste.
Und nun: Eine von Amazon produzierte Fantasy-Serie mit dem Titel „Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“ist am frühen Freitagmorgen gestartet. Prime-Kunden können sie seither kostenlos streamen. Eingefleischte Fans wurden schon seit 2019 durch geschicktes Marketing auf diesen Tag eingeschworen. Der genaue Inhalt des Prequels, eines Fortsetzungsfilms also, dessen Handlung im Gegensatz zum Sequel nicht nach, sondern vor den Ereignissen des älteren Films liegt, blieb jedoch weitgehend nebulös. Also: Viel Raum für Spekulationen. Die Gerüchteküche brodelte.
Also dann: 3 Uhr. Fernseher an. Zarter Choralgesang ist zu hören, kurz darauf eine sanfte Frauenstimme, die sagt: „Nichts ist von Beginn an böse, und es gab eine Zeit, da war die Welt noch so jung, dass sie noch keinen Sonnenaufgang gesehen hatte. Aber selbst da war Licht.“Der Anfang. So unendlich viel Ruhe und Drama zugleich. Und dieses Muster, es wirkt wie ein inszenatorisches Leitmotiv für die kommenden 60 Minuten. Die Macher des Projekts holen mit der Vorgeschichte noch weiter aus, als dies in „Der Hobbit“geschah, und beginnen Tausende Jahre früher: mit der großen, jahrhundertelangen Schlacht der guten Elben gegen den bösen Morgoth.
Die großen Fragen des Daseins werden angerissen: Da ist Galadriel, Elbin und Protagonistin der Erzählung, sie markiert in heroischer Entschlossenheit den Kampf gegen das Böse, denn: „Das Böse schläft nicht, es wartet. Und im Augenblick unserer Selbstgefälligkeit blendet es uns.“Dazu herzzerreißende Streicher in Moll.
Da ist die Figur der Elanor Brandyfoot, ein junges Mädchen und eine der sogenannten Harfoots, die sich, wie einst Frodo und Bilbo Beutlin, nach Abenteuern sehnt, deren Mutter aber meint, das sei nur etwas für wirklich Große und Starke. Das irische Folklore-Flötenspiel im Hintergrund vermag diesen Gegensatz nicht zu beschönigen. Immerhin finden sich mehr Protagonistinnen am zuvor stark männlich geprägten Set.
Und da ist der Elb Arondir, der sich um die in Schlamm und Schmutz dahinlebenden Menschen sorgt. Er liebt die Heilerin Bronwyn, und sie liebt ihn. Doch ihre Liebe wird nicht einfach sein. Diese Vermutung drängt sich geradezu auf. So wie sich beinahe alle Sprachebenen des Filmes gewissermaßen übergriffig verhalten in der ersten Stunde der neuen Fantasy-Serie von Amazon Studios: Die wuchtige Bildsprache lässt wenig Raum für die eigenen Bilder im Kopf, die Sprache der Symbolik und der Andeutung ist so plump, dass sie einem den letzten Nerv rauben kann („Der Himmel ist eigenartig“), und der religiös-mythologische Duktus der Dialoge bringt am Ende das Fass zum Überlaufen.
Die Figuren um Galadriel werden durch das Schicksal miteinander vereint. Nichts Neues also in Mittelerde. Doch ob dadurch eine weitere Elben- und Ork-Begeisterung ausgelöst wird, bleibt abzuwarten. Aber: Die Hoffnung auf ein bisschen weniger Pathos, sie stirbt zuletzt.
Mit gewaltigem Pathos in Bildern und Sprache entführt eine neue Serie mit dem Titel „Die Ringe der Macht“Tolkien-Fans weit in die Vergangenheit des Helden-Epos.