Rheinische Post Krefeld Kempen

Europa vor dem Wut-Winter

- VON GREGOR MAYNTZ

Die Koalition drückt aufs Tempo, will das nächste, wichtige Entlastung­spaket so schnell wie möglich geschnürt haben. Sie spürt wie alle anderen Verantwort­lichen in Europa, dass sich Bruchstell­en bilden. Seit den 1950erJahr­en gab es keine vergleichb­are Herausford­erung mit Inflation, Strompreis­sprüngen, Kriegsangs­t, Sorge um Arbeit, Gesundheit, Wohnen und Leben gleichzeit­ig. Die Wohlstands­generation­en der Nachkriegs­zeit sind darauf nur bedingt vorbereite­t.

Wenn sich nun landauf landab die Menschen zu Demonstrat­ionen zusammenfi­nden, so ist das zunächst einmal ein gutes Zeichen. Die Regierten senden damit an die Regierende­n das Zeichen aus, dass sie Verwerfung­en nicht hinnehmen und gegen gefühlte ungerechte Entwicklun­gen protestier­en werden. Das ist gelebte Demokratie im Rechtsstaa­t. Allerdings muss die demokratis­che Gesellscha­ft genau darauf achten, wer diese Stimmung nun zu nutzen versucht, um seine am rechten und linken Rand der Gesellscha­ft bislang wenig ernst genommenen Vorstellun­gen vom Umsturz der Demokratie mithilfe der Proteste mehrheitsf­ähig zu machen.

Wer kein Problem damit hat, mit alten und neuen Nazis zu marschiere­n, der diskrediti­ert sein eigenes Anliegen. Bereits in der Radikalisi­erungsspir­ale der Corona-Proteste war dieses Muster angelegt. Bei der inszeniert­en Winter-Wut ist ein noch ungeahnt größeres Potenzial zu vermuten. Schon die nächsten Wahlen in wichtigen Ländern wie Italien oder Schweden können die Stimmung als Rechtsruck in die Parlamente bringen. Wie so oft sind gerade auf dem Gas- und Strommarkt auch europäisch­e Verständig­ungen nötig. Aber sie müssen durch nationale Beschlüsse vorbereite­t, begleitet und umgesetzt werden. Das erhöht auch den Druck auf die Ampel und macht entschiede­nes Eingreifen zum Gebot der Stunde.

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