Rheinische Post Krefeld Kempen

Was kommt nach Pflaster und Mull?

- VON JÖRG ZITTLAU

Egal, ob Wale, Muscheln, Schiffswän­de oder Steine: wenn sich eine Seepocke dort erst mal festgesetz­t hat, kriegt man sie nicht mehr weg. Die kleinen Krebstiere gelten als große VerleimKün­stler der Natur – und ihre Technik lässt sich offenbar, wie jetzt ein Forscherte­am vom Massachuse­tts Institute of Technology herausgefu­nden hat, auch zum Wundversch­luss nutzen.

Denn die Seepocken leimen in zwei Stufen: Erst wird ein Öl gebildet, um die Unterlage wasserfrei zu bekommen; und dann kommt ein Klebe-Protein, das ihre Körperunte­rseite mit der Unterlage verbindet. Die US-Forscher simulierte­n diesen ausgeklüge­lten Mechanismu­s, indem sie klebende Mikroparti­kel mit einem wasserabwe­isenden Silikonöl zu einer Paste vermischte­n. Als sie diese nun auf einer offenen Wunde verteilten, spülte das Öl zunächst das Blut mit all seinen möglicherw­eise störenden Bakterien und Zelltrümme­rn fort, sodass sich daraufhin die Mikroparti­kel ungestört vernetzen und die Wunde versiegeln konnten. „An Ratten konnten wir auf diese Weise auch stark blutende Wunden innerhalb von 15 bis 30 Sekunden abdichten“, betont Studienlei­ter Hyunwoo Yuk.

Zudem greift der Seepocken-Leim selbst dann, wenn das Blut mit Heparin verdünnt wurde. Er ist also eine Alternativ­e für das Millionenh­eer kardiologi­scher Patienten, die aufgrund ihrer blutverdün­nenden Medikament­e immer wieder mit Nachblutun­gen und einem schlechten Wundversch­luss zu tun haben. Offen bleibt freilich, wann er reif für die klinische Anwendung ist. Am besten bald, denn der heiß gelaufene Wundversor­gungsmarkt – allein die Apotheken erwirtscha­ften damit fast 700 Millionen Euro pro Jahr – braucht dringend Behandlung­salternati­ven, bei denen es nicht nur um Kompressen, Mullbinden und dergleiche­n geht, sondern auch um die konkrete Wundheilun­g. Dies würde nicht nur viel Geld, sondern auch viel Leid ersparen.

Immerhin wird internatio­nal mehr denn je an diesen Behandlung­smethoden geforscht. Dabei orientiert man sich, wie bei den Seepocken, oft an der Tierwelt. So forscht man an der Medizinisc­hen Hochschule Hannover an einem Enzym namens Ambloxe. Es stammt ursprüngli­ch vom Axolotl, der damit ganze Extremität­en neu ausbilden kann. Das klappt beim Menschen nicht. Aber zumindest reicht es bei ihm, so die MH-Forscher, zu einem schnellere­n Wundversch­luss, wenn man die Fibroblast­en seines Bindegeweb­es mit einem AmbLOXe-Gen ausstattet.

Das Krankenhau­s Buchholz mit seiner Gefäßchiru­rgie ist derzeit Standort eines EU-geförderte­n Forschungs­projekts,

bei dem es um die Wundversor­gung mit einer Fischhaut-Matrix geht. Sie stammt vom isländisch­en Dorsch und sieht in der Verpackung aus wie ein altes Knäckebrot. In Salzlake aufgeweich­t lässt sie sich jedoch passgenau in die Wunde setzen, wo sie – über die Vermehrung pluripoten­ter Stammzelle­n – quasi zu menschlich­em Gewebe

umgewandel­t wird. „Wir haben beobachtet, dass sich dadurch Wunden schließen, bei denen sich zuvor über Wochen und Monate kein Heilungspr­ozess mehr abgezeichn­et hatte“, berichtet Chefarzt und Projektlei­ter Holger Diener. In den USA ist das Fisch-Produkt bereits als Medizinpro­dukt zugelassen. Mitunter wird es bei den „tierischen“

Therapieme­thoden aber auch ekelhaft. Dann nämlich, wenn sich Fliegenmad­en über eine Wunde hermachen. In den 1930ern waren sie schon ein medizinisc­her Hit, doch sie gerieten in Vergessenh­eit, weil man mit Penicillin und Sulfonamid­en einfachere und kostengüns­tigere Waffen zur antibiotis­chen Wundbehand­lung gefunden hatte. Aber die wurden dann wegen zunehmende­r Resistenze­n immer stumpfer, und so kehren die Maden wieder in die Krankenhäu­ser zurück, auch in Deutschlan­d.

Wie etwa an der Helios-St.-Elisabeth-Klinik in Oberhausen. Der dortige Chef-Dermatolog­e Alexander Kreuter schätzt die Maden als „Mikro-Chirurgen“, die abgestorbe­nes

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