Rheinische Post Krefeld Kempen
Auf Achse – ohne Händewaschen
Lkw-Fahrer wie Jens Schroeder gelten als Alltagshelden, werden aber schlecht behandelt, weil viele Unternehmen Angst haben, die Fahrer könnten das Coronavirus einschleppen. Die Speditionsbranche steht unter Druck.
DÜSSELDORF Jens Schroeder ist daran gewöhnt, mit seinem 40-Tonner auf Deutschlands Autobahnen nicht besonders beliebt zu sein. „Es gibt ja immer noch genug Autofahrer, die uns Lkw-Fahrer als lästiges Übel empfinden und nicht begreifen, dass wir auch für sie unterwegs sind“, sagt der 39-jährige Berufskraftfahrer. Daran habe auch die Corona-Krise wenig geändert – auch wenn Leute wie Schroeder nun häufig als „Alltagshelden“bezeichnet werden, weil sie mit vielen anderen das Land am Laufen halten undVersorgungsketten sichern. Die Krise und die Angst vor dem Virus bringt nun aber mit sich, dass Schroeder sich bei seinen Kunden wie ein Aussätziger fühlt.
„Einige lassen mich nicht mehr auf ihre Toilette“, sagt er. „Ich finde das ein Unding.“Wenn er eine Tour von Düsseldorf in den Norden macht, hat er Stopps bei Kunden in Münster, Osnabrück und Bremen, bevor er Hamburg erreicht. Auf der Rückfahrt nimmt er Ladung mit nach NRW. „Ich muss dann Termine einhalten und kann nicht zusätzlich immer rausfahren, um auf dem Rasthof auf die Toilette zu gehen“, sagt er. Das sagt er auch den Kunden und fragt sie: „Wie stellt ihr euch das vor?“Doch die zuckten nur mit den Schultern. In der ersten Zeit waren die Autobahn-Raststätten auch geschlossen, mittlerweile sind zumindest die meisten Sanitäranlagen wieder geöffnet.
„Die Verladerschaft will eigenes und externes Personal trennen, deshalb lässt man die Lkw-Fahrer nicht mehr in die Gebäude“, sagt Rüdiger Ostrowski, Geschäftsführer beimVerband Spedition und Logistik NRW. „Das ist insgesamt einfach unanständig, ganz nach dem Motto: Was haben wir mit deinem Toilettengang zu tun?“Die Kunden und Belader haben Angst, die Fahrer könnten das Coronavirus einschleppen. Großverlader hätten inzwischen immerhin mobile Container aufgebaut mit Toiletten für die Fahrer, in manchen gibt es sogar Duschen. Manchmal finden die Trucker nach vielen Stunden Fahrt aber auch nur ein Dixi-Klo vor, in dem sie sich noch nicht mal die Hände waschen können.
Der schlechte Umgang mit den Lkw-Fahrern sei das eine, sagt
Ostrowski, aber auch die Speditionen spürten die Krise deutlich. „In der Logistikbranche gibt es einen Auftragswegbruch von bis zu 60 Prozent“, sagt er. In vielen Produktionsbetrieben stehen die Bänder still, vor allem von der Stahl- und Automobilbranche gibt es zur Zeit kaum Aufträge.
Jens Schroeder arbeitet bei der Düsseldorfer Spedition Stahl-Express Franke. Er ist dort einer von 35 Fahrern, alle sind seit Anfang April in Kurzarbeit. „Wir haben niemanden entlassen, auch die nicht, die sich gerade noch in der Probezeit befinden“, sagt Nadine Franke, die den Betrieb von ihrem Vater übernommen hat. „Es ist nicht einfach, zuverlässige Fahrer zu finden, und uns ist wichtig, unsere guten Mitarbeiter mit durch die Krise zu nehmen.“Die 45-Jährige ist seit zwölf Jahren Geschäftsführerin der Spedition im Hafen. 30 Lastwagen gehören zum Fuhrpark, von Düsseldorf aus sind die eigentlich täglich quer durch Deutschland unterwegs, beladen mit Stahl oder Maschinen für die Autoindustrie etwa.
„Die große Angst vor der Krise hab ich in der Branche schon gespürt, als noch gar keine Umsätze betroffen waren“, sagt Franke. Sie traf dann Maßnahmen, machte Schichtdienstpläne, richtete Homeoffice-Plätze bei den Büromitarbeitern ein und stattete ihre Fahrer mit Desinfektionsmitteln und Schutzmasken aus. Anfang April wurde die Krise dann auch für sie spürbar, viele Automobilhersteller setzten die Produktion aus. „Es war auch vor Corona schon ein hartes Business“, sagt Franke. „Wir kämpfen mit geringen Gewinnspannen und investieren ständig in gutes Personal und Fahrzeuge.“
Weil es wenig Ware und viele freie Lastwagen gibt, sind die Frachtraten in den Keller gegangen, wie Franke sagt. Das Preisdumping führe dazu, dass unseriöse Frachtpreise kursieren. „Die Preise sind aber mit den gesetzlichen Bestimmungen in Deutschland nicht vereinbar“, sagt Franke.
Ostrowski nennt ein Beispiel: Für einen beladenen Sattelzug, der von Köln nach Berlin fahren soll und drei oder vier Entladestationen auf dem Weg anfährt, kalkuliert eine Spedition mindestens 750 Euro.„Manche fahren die Strecke aber gerade für weniger als die Hälfte“, sagt Ostrowski. Von den 350 Euro müssen auch der Sprit und die Mautgebühren bezahlt werden. „Es ist schamlos, wie die Verladerschaft die Lage nutzt, um die Preise zu drücken und die Krise so auf dem Rücken der Spediteure auszutragen“, sagt Ostrowski. Er empfiehlt den Unternehmen, das Fahrzeug bei solchen unseriösen Preisangeboten konsequent stehen zu lassen.
Ein Fahrer der Düsseldorfer Spedition hing kürzlich einen halben Tag an einer Verladestation fest, weil er erhöhte Temperatur hatte.
„Sie haben bei seiner Ankunft Fieber gemessen und ein zweites Mal, bevor er das Gelände wieder verlassen wollte“, sagt Spediteurin Franke. Zwischenzeitlich hatte der Fahrer aber beim Entladen des Lastwagens geholfen und war ordentlich ins Schwitzen geraten. „Klar ist die Körpertemperatur dann erhöht.“Er musste ins Krankenhaus und dort mehrere Stunden auf das Ergebnis eines Corona-Tests warten, der schließlich negativ ausfiel.
Am Anfang der Krise konnte Jens Schroeder das Fahren auf den freien Autobahnen noch genießen.„Ich finde es aber erstaunlich, dass Autofahrer uns Lkw-Fahrer trotzdem als großes Hindernis wahrzunehmen scheinen“, sagt er. Er hat das Gefühl, dass die Leute, die gerade trotz Corona ins Büro müssen, es besonders eilig haben. „Die fahren dann auf den letzten Drücker los, weil die Straßen ja freier sind, und sind dann entsprechend aggressiv unterwegs, drücken sich rein.“Er wünscht sich, dass man in den Fahrschulen alle Anfänger einmal in einem Lkw mitfahren lässt, damit sie den Blickwinkel der Fahrer mal einnehmen können.