Rheinische Post Krefeld Kempen
Das Seepferdchen wird schwieriger
Seit Jahresbeginn gibt es bei den Schwimmabzeichen keinen Unterschied mehr zwischen Erwachsenen und Kindern. Beim Seepferdchen gelten neue Anforderungen. Was sicherere Schwimmer hervorbringen soll, erntet auch Kritik.
Tim und Johannes sind beide acht Jahre alt. Sie haben sich ein gemeinsames Projekt vorgenommen. In der Schule haben sie vor einiger Zeit das Schwimmabzeichen in Bronze abgelegt, nun wollen die Freunde unbedingt das Silberabzeichen auf ihren Badehosen anbringen können. Der Bademeister lässt die Jungs an diesem Tag erst einmal eine Probebahn schwimmen. Schon nach wenigen Zügen kommt er zum Ergebnis:„Das sieht sehr gut aus, aber für ein Abzeichen braucht ihr noch etwas Übung. Das bekommen wir auf jeden Fall zusammen hin.“
Gerd Lohmann ist Schwimmlehrer und gibt in Mönchengladbach und Meerbusch Kurse. Immer wieder erlebt er, dass gerade Eltern ihre Kinder völlig falsch einschätzen. „Die denken, ihr Kind habe ja das Seepferdchen gemacht, dann könne es schwimmen“, sagt er. „Das ist in den allermeisten Fällen aber absoluter Quatsch. Sie haben eine gute Basis, mehr auch nicht. Oft liegen zwischen den Kursen mehrere Monate, und da haben die Kinder die Hälfte schon wieder vergessen.“
Seit dem 1. Januar gibt es keine Unterscheidung mehr zwischen dem sogenannten Deutschen Jugendschwimmabzeichen und dem Deutschen Schwimmabzeichen (bislang ab 18 Jahren). Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) reagiert mit der Abzeichenreform auch auf die Beobachtung, dass immer weniger Heranwachsende sicher schwimmen können. Und genau dieses Thema „sicher schwimmen können“, also jede Situation im Wasser zu beherrschen, stehe im Fokus der Reform.
Mit ihr haben sich die Anforderungen für Kinder und Jugendliche erhöht. Im Fall von Tim und Johannes ist die Zeit angepasst worden. Statt in 25 Minuten müssen sie die 400 Meter nun wie alle anderen in 20 Minuten absolvieren. Durchaus machbar, so das Urteil des Experten, es erfordere aber eben im Einzelfall noch etwas Training. „Es geht beim Ablegen einer Schwimmprüfung nun unter anderem darum nachzuweisen, dass man sich – je nach Schwimmabzeichen – mindestens 15 Minuten schwimmend über Wasser halten kann. Bei einer Notlage im Wasser kann jede Minute überlebenswichtig sein, darum ist es sinnvoll, dies auch realitätsnah zum Prüfungsinhalt zu machen“, sagt Dagmar Freitag (SPD), Sportausschussvorsitzenden im Bundestag.
Gestartet wird die Reihe der Schwimmprüfungen nach wie vor mit dem Seepferdchen – das an sich keine Schwimmprüfung ist, sondern als eine auf das Schwimmen vorbereitende Prüfung deklariert wird. Durch leicht gestiegene Anforderungen erfahre das Seepferdchen, so teilt die DLRG mit, eine Aufwertung. Die Neuerung hier: Kinder können sich aussuchen, ob sie in Bauch- oder Rückenlage schwimmen.„Vorher musste man in Bauchlage schwimmen, und das hielt ich auch für vernünftig. Sich alleine auf Rückenlage zu konzentrieren, halte ich für gefährlich. Das ist in etwa so, als würden sie in der Fahrschule auf einem Automatik-Auto lernen und zu Hause mit Gangschaltung fahren wollen. Was machen sie denn, wenn sieWasser ins Gesicht bekommen und sich umdrehen müssen? Dann sind die Kinder schnell überfordert“, sagt Lohmann.
Doch der selbstständige Schwimmlehrer Lohmann hält ein anderes Problem für dramatischer: „Es gibt an vielen Orten immer weniger Möglichkeiten, Schwimmen überhaupt zu lernen oder zu üben. Wenn keine Schwimmzeiten zur Verfügung stehen, weil zum Beispiel zwei Bäder zu einem zusammengelegt werden, ist das ein Problem. Denn dadurch kann man sicher Geld sparen, aber bekommt keine zusätzlichen Bahnen.“
Bei der DLRG rennt Lohmann mit seinen Sorgen offene Türen ein. Sicher schwimmen zu können, sei eine motorische Basiskompetenz und „ein unverzichtbares Kulturgut in unserer heutigen Gesellschaft“, heißt es dort. Dieses sei stark gefährdet, weil immer weniger Menschen die Chance bekämen, es überhaupt zu erlernen.„Um dem Kulturgut Schwimmen seine frühere aber durchaus wichtige Bedeutung zurückzugeben, müssten in Deutschland die entsprechenden Wasserflächen, also Hallen- und Freibäder, erhalten bleiben, sie müssten saniert oder wiederhergestellt werden. Der Schwimmunterricht muss an den Grundschulen konsequent durchgeführt werden“, sagt Verbandssprecher Achim Wiese. Klagen über ausfallende Schwimmstunden und geringe Wasserzeiten, weil der Weg zum Bad länger geworden ist, machen immer wieder die Runde in der Schullandschaft.
In der Grundschule werde Schwimmunterricht verpflichtend im Umfang eines vollen Schuljahres mit mindestens einer Wochenstunde und mindestens 30 Minuten Wasserzeit erteilt, heißt es aus dem NRW-Schulministerium. Das seien in Summe zwischen 35 bis 40 Unterrichtsstunden pro Schuljahr. Zudem gibt es einen Aktionsplan für die Jahre 2019 bis 2022, der vorsieht, dass das Land mit den Badbetreibern einen Dialog führt, wie Wasserflächen dauerhaft erhalten und für das Schulschwimmen genutzt werden können.
Am Personal, das ist DLRG-Sprecher Weise wichtig zu betonen, liege es jedenfalls nicht, wenn die Schwimmfähigkeit der Jugend zurückgehe.„Wir haben in Deutschland rund 63.000 Schwimm-Ausbilder. Das ist eine ordentliche Zahl. Wir brauchen nur flächendeckend die Möglichkeit, auch Kurse anbieten zu können“, sagt er.