Rheinische Post Krefeld Kempen
Vom Siphon bis zum Apostel Paulus
Der Philosoph Peter Sloterdijk und der Architekt Christoph Ingenhoven diskutierten über das Theater.
Was gibt es Anregenderes für ein Zusammentreffen von Philosoph und Architekt, wenn der Ort ihres Austausches zumindest äußerliche eine Baustelle ist. Wenn also das Unfertige Denken und Sprechen inspiriert und der Staub an den Schuhen der Besucher Anlass zu manchem Tiefsinn liefert. Die Erwartungen waren also nicht gering an die Begegnung des weiträumig denkenden Peter Sloterdijk mit dem weltweit bauenden Christoph Ingenhoven im Düsseldorfer Schauspielhaus, das in diesen Tagen sein 50-jähriges Bestehen feiert – auf allen Bühnen und praktisch rund um die Uhr. Momentan gelingt einiges an der Bühne der Landeshauptstadt – bis auf den Zeitplan für die aufwändige Sanierung des von Bernhard Pfau entworfenen und jetzt von Ingenhoven dezent umgebauten ikonographischen Bauwerks.
Die Baustelle des Hauses war Sloterdijk indes nicht so wichtig, auch Theaterbesuche scheinen nicht zum bevorzugten Kulturprogramm des 72-Jährigen zu gehören. Also erkundete Sloterdijk im Gespräch mit Moderator und Architekturexperte Alexander Gutzmer lieber jene Assoziationsräume, in denen sich der Denker aus Karlsruhe seit jeher wortgewandt und unterhaltsam tummelt. Am griffigsten vielleicht noch sein Hinweis, dass das Theater in der Antike eine Debattenkultur nicht nötig gehabt und sich auch deshalb dem Erhabenen mit Götterund Heldengeschichten gewidmet habe. Denn Athen hatte eine Agora für den politischen Diskurs, das Stadion für den sportlichenWettkampf, das riesige Theater für die Erbauung.
Das ist heute anders. Im Theater wird mehr als anderswo über Gegenwart und Gesellschaft gesprochen, gerade im Düsseldorfer Schauspielhaus. Sloterdijk aber kehrte flugs ins gewohnte Gedanken-Terrain zurück und war dort folglich in seinem Element. Über Theater, den öffentlichen Raum und die Stadtgesellschaft war weniger zu erfahren (was ein Zwischenrufer gegen Ende lautstark bemerkte), dafür aber einiges über den kulturgeschichtlichen Paradigmenwechsel mit der Erfindung des Siphons, über den Segen der Einführung von Kernseife, über das in Paris erfundene Kopfsteinpflaster in Städten wie auch den Apostel Paulus, der als gelernter Tuchmacher auch dem Theater in gewisser Weise nahegestanden habe.
Natürlich ist das unterhaltsam, mit Sloterdijk durch die Geschichte der Philosophie zu flanieren und dabei mit Zitaten von Sophokles, Aristoteles, Platon, etwas Bloch und ein wenig Nietzsche versorgt zu werden. Doch blieben fürs aktuelle Thema kaum mehr als ein paar Gemeinplätze übrig: zum Theater als Wahrheitsort, an dem die Conditio Humana verhandelt werde und das den Versammlungstrieb des Menschen befriedige.
Auf diese Weise entpuppte sich der Denker als Konstrukteur früherer Werke, während der Architekt Nachdenkliches zu bieten hatte: über einen Theaterbau nämlich, der im Nachkriegsdeutschland etwas Leichtes, auch Improvisiertes und Experimentelles zu bieten hatte, der aber lange ein baulich abgeschirmter Solitär geblieben ist. Ob dies mit den enormen Umbauten des gesamten Vorplatzes – dem sogenannten Ingenhoven-Tal – anders werde?
Schwierig zu sagen, erstaunlicherweise selbst für den Architekten. Weil man unseren naturwüchsigen Städten nach seinen Worten Zeit geben müsse, zu reifen, sich zu entwickeln. Die Erfindung der Stadt ist für Ingenhoven ein Segen auch für unser Zusammenleben: Sie gibt Chancen der Begegnung, und Urteile zu revidieren; in der Konfrontation verwandelt sich Fremdes in Kenntnis. Demokratie findet für ihn in den Städten statt – aktuell zu sehen unter anderem in Hongkong.
Zum Schluss dann doch noch einmal Theater: Beide werden gebeten, sich eine Aufführung für Düsseldorf zu wünschen. Medea von Passolini, so Ingenhoven; und Sloterdijk: die vor acht Jahren uraufgeführte Oper „Babylon“. Geschenkt, Sloterdijk hatte dazu das Libretto geschrieben.