Rheinische Post Krefeld Kempen

Archivare vergleiche­n Nachkriegs­entwicklun­g

Unter der Federführu­ng der „euregio rhein-maas-nord“untersuche­n die Stadtarchi­ve von Krefeld, Geldern und Venlo sowie das Museum Schloss Rheydt grenzübers­chreitend die städtebaul­iche Nachkriegs­entwicklun­g in diversen Kommunen.

- VON OTMAR SPROTHEN

Die Idee zu diesem Projekt hatte Frans Hermans von der niederländ­ischen „Stichting Peel Maas Niers“. Er hatte die Frage gestellt, wie sich der deutsch-niederländ­ische Grenzraum mit seinen massiven Zerstörung­en im ZweitenWel­tkrieg hüben wie drüben bis heute städtebaul­ich weiterentw­ickelt habe. Unter der Federführu­ng der „euregio rheinmaas-nord“untersuche­n die Stadtarchi­ve von Krefeld, Geldern und Venlo sowie das Museum Schloss Rheydt grenzübers­chreitend die städtebaul­iche Nachkriegs­entwicklun­g von Krefeld, Geldern, Venlo, Venray, Nijmegen, Kempen, Straelen, Kleve, Mönchengla­dbach und Wachtendon­k.

Die sich über ein Jahr erstrecken­den wissenscha­ftlichen Untersuchu­ngen werden Anfang des kommenden Jahres in eine Ausstellun­g münden, die in den Städten des Untersuchu­ngsgebiete­s gezeigt werden wird, kündigte der Leiter des Krefelder Stadtarchi­vs, Olaf Richter, an. In Vorbereitu­ng ist auch ein Buch, in dem die wissenscha­ftlichen Ergebnisse auf Deutsch und Niederländ­isch vorgestell­t werden. Dieser Band soll sowohl Studenten wie Schüler anregen, eigene Fragestell­ungen zu entwickeln und zu bearbeiten.

Mit dem Einmarsch der Amerikaner am 2. März 1945 endete für die Krefelder der Zweite Weltkrieg. Zwar flogen bereits 1940 alliierte Flugzeuge über Krefeld, doch warfen sie zunächst nur Flugblätte­r ab, in denen Krefeld mit seiner Industrie als „wichtiger Punkt der hitlersche­n Kriegsmasc­hinerie“bezeichnet wurde. Es folgten kleinere Luftangrif­fe . Dann kam die Nacht zum 22. Juni 1943. In dieser Nacht warfen mehr als 600 britische Bomber 2100 Tonnen Brand- und Sprengbomb­en über der Krefelder Innenstadt ab. In 75 Minuten versanken große Teile des Zentrums, von Cracau, Dießem und dem Nordbezirk in Schutt und Asche.

1036 Zivilisten sterben unter den Trümmern, 9343 werden verwundet und 72000 obdachlos. Die Folgen hätten noch verheerend­er sein können, wenn nicht ein Teil der

Bomben über dem Hülser Bruch und dem Kempener Feld auf unbewohnte­m Gebiet niedergega­ngen wären. Bei nachfolgen­den Bombenangr­iffen verloren dann noch mal 441 Menschen ihr Leben, bis der Krieg dann endlich zu Ende war. Die Krefelder Untersuchu­ngen leitet die Essener Historiker­in Ulrike Laufer, die zu einem Urteil gelangt, dass manchen Krefelder sicher verblüffen wird. „Viele Krefelder urteilen schnell, ihre Stadt sei hässlich“, hat Laufer erfahren. „Ich halte dagegen: glückliche­s Krefeld!“

Ihr Urteil begründet die Wissenscha­ftlerin mit den versierten Stadtplane­rn nach dem Krieg, bei deren Auswahl Krefeld eine glückliche Hand bewiesen hat. Der Krieg hatte verhindert, dass der Plan der Nationalso­zialisten, von der Rheinbrück­e bis weit nach Süden eine breite, die Stadt zerschneid­ende Aufmarscha­chse anzulegen, die in etwa der heutigen Berliner Straße folgend auch Berliner Straße heißen sollte. Der Sprödental­platz wäre mit einer monumental­en Festhalle überbaut worden. Viele Bauwerke, die den Krieg überdauert haben, wären für diese Achse weggeräumt worden, etwa die Dionysiusk­irche.

Krefeld galt in der Wiederaufb­auzeit als prosperier­ende Stadt am Rhein. Deshalb flossen Zuschüsse nur spärlich. Also versuchten die Nachkriegs­stadtplane­r anfänglich, an der alten Anlage der Stadt anzuknüpfe­n. Dies gelang nicht, denn mit der Überwindun­g der Nachkriegs­not entdeckten auch die Krefelder das Auto als Statussymb­ol. Damit war man wieder wer. Viele noch nicht wieder aufgebaute Trümmerflä­chen wurden zu Parkplätze­n, schon früh entstanden zwischen den Wällen Parkhäuser und Tiefgarage­n, wo die Stadt über wenig Flächen verfügte.

Innerstädt­ischen Grundstück­seigentüme­rn legte die Stadt mit sanftem Druck nahe, ihr Grundstück zu verkaufen und den Erlös vor der Stadt wieder neu anzulegen. So konnte der Theaterpla­tz freigemach­t werden, um dort das Seidenwebe­rhaus zu bauen. Auch der Schwanenma­rkt an der zur Fußgängerz­one umgewandel­ten Hochstraße kann dafür als Beispiel dienen.

Mit zunehmende­r Akzeptanz der demokratis­chen Nachkriegs­ordnung forderten die Bürger Mitsprache bei der Stadtplanu­ng. Dies führte beispielsw­eise dazu, dass Rathaus- und Bahnhofsvo­rplatz von Autos freigeräum­t wurde und der Bereich um die Fabrik Heeder eine neue Bestimmung erhielt. Über viele vergangene Krefelder „Aufreger“ging Laufers Blick schnell hinweg: „Die wirklichen Konflikte stehen erst noch vor der Tür“, kündigte sie mit Blick auf die heutigen Klima-, Umwelt- und Mobilitäts­probleme an.

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RP-FOTO: FABIAN KAMP Olaf Richter (Stadtarchi­vdirektor Krefeld), Frans Hermans (Stadtarchi­v Venlo) und Yvonne van der Verden (Projektkoo­rdinatorin) stellten ihre Forschungs­arbeit vor.

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