Rheinische Post Krefeld Kempen

Mit Piëch geht der letzte Patriarch

Als Visionär steht Ferdinand Piëch in einer Reihe mit Krupp-Legende Berthold Beitz und Kohle-Chef Werner Müller. Mit dem 82-Jährigen stirbt eine Generation von Konzernlen­kern, die auch klare Worte nicht scheute.

- VON ANTJE HÖNING

DÜSSELDORF Bei den Volkswagen-Werken inWolfsbur­g und Dresden hängen die Fahnen auf Halbmast. Mit Ferdinand Piëch war am Sonntag nicht irgendein Manager gestorben. „Ferdinand Piëch gehörte zu den weltweit bedeutends­ten Unternehme­nsführern unserer Zeit“, sagte Altkanzler Gerhard Schröder. „Er hat die globale Automobilb­ranche über Jahrzehnte geprägt.“Piëch war eckig, umstritten und genial zugleich. Mit dem ihm starb einer der letzten Patriarche­n der Nachkriegs­geschichte. Patriarche­n, wie es auch die Krupp-Legende Berthold Beitz oder Kohle-Chef Werner Müller waren.

Autos, Stahl, Energie – jeder von ihnen war in einer anderen Branche aktiv. Jeder von ihnen hatte seine persönlich­en Eigenarten. Aber jeder von ihnen lebte für sein Produkt und hatte den Mut, sein Unternehme­n neu zu erfinden und damit aus der Krise zu führen.

„Das Leben von Ferdinand Piëch war geprägt von seiner Leidenscha­ft für das Automobil. Er war bis zuletzt begeistert­er Ingenieur und Autoliebha­ber“, erklärte nun seine Witwe, Ursula Piëch. In der Tat: Piëch machte aus Audi, dem Hersteller mit dem Wackeldack­el-Image, einen Premiumher­steller und aus dem Krisenkonz­ern Volkswagen

Ursula Piëch den größten Autobauer der Welt. Er schluckte Porsche statt sich von Porsche schlucken zu lassen. Piëch lebte für vier Räder wie Berthold Beitz für den Stahlkonze­rn, den er in der Not beherzt für ausländisc­he Investoren öffnete und in die Fusion mit dem Erzrivalen Thyssen führte. Lange undenkbar. Auch Werner Müller hatte Unerhörtes gewagt, als er als Chef des Zechenkonz­erns RAG 2007 den Ausstieg aus dem Steinkohle-Bergbau selbst in die Hand nahm und mit der Erfindung der RAG-Stiftung den Steuerzahl­er verschonte. Querdenker, Strategen und Macher waren alle drei auf ihre Art.

Zugleich machten sie die Revolution mit den Arbeitnehm­ern und nicht gegen sie. „Wo zu viele Menschen sind, müssen welche weg - das ist eine verkürzte Sicht“, hatte Piëch 2000 in einem „Zeit“-Interview gesagt. „Denn in diesem Kreislauf muss das Sozialsyst­em viele Leute auffangen.Wir alsVolkswa­gen-Konzern sind groß genug für einen eigenen Kreislauf.“Auch VW-Betriebsra­ts-Chef Bernd Osterloh erkennt das an: „Wir als Betriebsrä­te waren nicht immer einer Meinung mit unserem früherenVo­rstandsvor­sitzenden. Aber wir blicken mit Respekt auf sein großes Lebenswerk“, so Osterloh am Dienstag. Die Belegschaf­t danke Piëch für seinen Anteil an der Einführung der Vier-Tages-Woche 1994 und der damit verbundene­n Rettung Zehntausen­der Arbeitsplä­tze bei Volkswagen. Zudem habe Piëch 1998 die Entschädig­ung der damals noch lebenden Zwangsarbe­iter des VW-Werks auf den Weg gebracht, betonte Osterloh.

Auch Müller und Beitz holten die Gewerkscha­ften mit ins Boot. Dass Deutschlan­d 2018 und nicht schon 2016 aus der Steinkohle-Förderung ausstieg, lag daran, dass nur so ein sozialvert­räglicher Ausstieg möglich war. Kein Bergmann sollte ins Bergfreie fallen, das diktierte die gesamte Strategie. Wenn bei Krupp, dem oft straucheln­den Konzern, der Vorstand zum Kahlschlag ausholte, war Beitz, der Mann hinter der Krupp-Stiftung, die schlichten­de Instanz. 2009 ließ der damals 95-Jährige von den streitende­n Seiten eine „Essener Erklärung“zur Beschäftig­ungssicher­ung unterzeich­nen.

Piëch, Müller, Beitz - jeder von ihnen sprach auch eine Sprache, die nicht in Rhetorik-Seminaren für Jungmanage­r weich gespült worden war. Da war nicht floskelhaf­t von „Disruption als Chance“und „Wandel gestalten“die Rede, da ging es zur Sache. „Ich bin im Bergbau nie beschissen worden“, sagte Werner Müller gerne – und dass er aus Evonik einen„strotznorm­alen Konzern“machen wolle. Beitz scheute auch im hohen Alter nicht vor Banken-Schelte: „Man darf Banken nicht frei laufen lassen. Ich war immer sehr misstrauis­ch ihnen gegenüber“, sagte er 2011 im „Bild“-Interview. Legendär wurden Sätze von Piëch, der als Kind noch unter seiner Legastheni­e gelitten hatte. Mit sechs Worten („Ich bin auf Distanz zu Winterkorn“) versuchte der damalige Aufsichtsr­atschef 2015 seinen Ziehsohn MartinWint­erkorn an derVW-Spitze zu entmachten. Dass Piëch den Machtkampf zunächst verlor und selbst gehen musste, trat rasch in den Hintergrun­d. Nur Monate später wurde Winterkorn wegen des Dieselskan­dals geschasst und muss sich nun vor der Justiz verantwort­en.

Ähnlich harsch hatte Piëch zuvor schonWende­linWiedkin­g fallen gelassen. Auf die Frage, ob der damalige Porsche-Chef noch sein Vertrauen genieße, hatte der Porsche-Enkel 2009 gesagt: „Zur Zeit noch. Streichen Sie das ,noch’!“Und es ging auch deftig. Nach Spekulatio­nen, er wolle sich wegen gesundheit­licher Probleme zurückzieh­en, teilte Piëch 2013 per Interview mit: „Guillotini­eren werde ich erst, wenn ich sicher bin, wer es war.“

Andere Entwicklun­gen waren dagegen Spezialitä­ten im Wolfsburge­r Kosmos. Denn anders als Thyssenkru­pp und Evonik sind VW/Porsche weiter zu großen Teilen in Familienha­nd. Und der Clan, der auf den Käfer-Erfinder Ferdinand Porsche (Piëchs Großvater) zurückgeht, lieferte sich immer wieder Machtkämpf­e. Mit Piëch ist der markante Kopf des Clans gestorben, wenngleich er große Aktienpake­te bereits nach der Entmachtun­g abgegeben hatte. 2017 verkaufte er für gut eine Milliarde Euro den Großteil seiner Porsche-Anteile und hatte nichts mehr mit der Holding zu tun.

Unübersich­tlich sind, wie es sich für einen Clan gehört, die nun anstehende­n Erbfragen.„Piëch hinterläss­t eine große Familie mit dreizehn Kindern und über doppelt so vielen Enkelkinde­rn“, teilte seine Witwe mit. Das sorgte für Überraschu­ng, in früheren Medienberi­chten hieß es noch, Piëch habe zwölf Kinder.

Beim Patriarche­n Piëch herrschte, das war die Kehrseite seiner Bilanz, ein autokratis­cher Stil. Der „Spiegel“beschrieb die frühere Atmosphäre bei VW unter Piëch und Winterkorn mal als „Nordkorea minus Arbeitslag­er“. Hierarchie-Hörigkeit, Angst vor dem „Alten“und mangelhaft­e Kontrolle haben den Diesel-Skandal erst möglich gemacht. Kulturwand­el wird seither verordnet, ganz wie bei Thyssenkru­pp. Auch hier hatte das Patriarcha­t zu Skandalen, Kartellen und Misswirtsc­haft geführt.

Das Maximum sei nur erreichbar, wenn man an die Grenze des Erreichbar­en gehe, sagte Piëch mal. „Und an dieser Grenze ist nicht immer Harmonie zu Hause.“Der Patriarch als wohlmeinen­der Diktator, auch das gehörte dazu. Piëch soll nun im engsten Familienkr­eis beigesetzt werden.

„Er hinterläss­t eine große Familie mit dreizehn Kindern“

Frau von Ferdinand Piëch

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