Rheinische Post Krefeld Kempen
Kirchlicher Bedeutungsschwund
ANALYSE Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur Besetzung einer Stelle bei der Diakonie ist ein Einschnitt – es beschränkt die Möglichkeiten der Kirchen. Am Ende aber könnte diese Niederlage ihnen sogar helfen.
Vera Egenberger hat Kirchengeschichte geschrieben. Das steht schon einmal fest. Die konfessionslose Berlinerin hatte sich um eine Stelle beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung beworben. Als Referentin sollte sie einen Bericht über die „Einhaltung des Übereinkommens der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung durch Deutschland“verfassen. Ein Thema, das sie schon vielfach bearbeitet hatte. Doch Egenberger erhielt die Stelle nicht, weil sie konfessionslose ist. Sie fühlte sich diskriminiert und klagte gegen die Diakonie.
Vergleichbare Fälle hatte es auch in der Vergangenheit in Deutschland gegeben. Damals entschieden die Richter in der Regel für die Kirchen. Denn bislang galt im kirchlichen Arbeitsrecht der Grundsatz, dass Kirchen-, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften auf eine Kirchenmitgliedschaft ihrer Mitarbeiter bestehen durften. Der Fall Egenberger ist nun ein Paradigmenwechsel: Denn das Bundesarbeitsgericht in Erfurt legte ihn dem Europäischen Gerichtshof vor. Und in Luxemburg entschied man, dass die bisher in Deutschland angewandten Prinzipien der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinie widersprechen.
Demnach dürfen die Kirchen nicht bei jeder Stelle eine Kirchenmitgliedschaft voraussetzen. Vielmehr gilt das nur dort, wo die Kirchenmitgliedschaft für die betreffende Stelle „wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt“sei. Und die Gerichte müssten dies im Einzelfall auch überprüfen können. Die Richter in Luxemburg haben ebenso wie jene in Erfurt den Grundsatz anerkannt, dass die Kirchen und die ihnen nahestehenden Sozialverbände auf bestimmten Stellen auch weiterhin nur Kirchenmitglieder einstellen dürfen.
Aber sie differenzieren: Je weiter die Stelle vom Kern des kirchlichen Lebens entfernt ist, desto schwächer sollen die Anforderungen werden. Ein Pfarrer, ein Kirchenmusiker oder ein Diakon wird auch weiterhin ein gläubiger Christ sein müssen. Ein Fahrer eines Behindertentransports von Diakonie oder Caritas, ein Arzt in einem christlichen Krankenhaus oder eben eine Referentin, die einen Antirassismusbericht erarbeiten soll, werden nicht mehr zwingend der Kirche angehören müssen.
Deswegen ist das vorliegende Urteil wichtig: Das kirchliche Arbeitsrecht verliert mit diesem Urteil ein weiteres Stück seiner Sonderstellung. Das Verhältnis von Kirche und Gesellschaft wird „normaler“: Auch Religionen dürfen niemanden wegen der Zugehörigkeit zu einer anderen oder zu keiner Weltanschauung diskriminieren. Sie dürfen zwar auch weiter bestimmte Bewerber benachteiligen, indem sie jemanden wegen seiner Religion nicht einstellen. Sie dürfen es aber in weniger Fällen als bisher. Und vor allem: Das Urteil stärkt die Möglichkeiten abgelehnter Bewerber, die Entscheidungen der Kirchen vor ordentlichen Gerichten überprüfen zu lassen.
Ohnehin finden die beiden großen Kirchen schon lange nicht mehr genügend Bewerber für alle Stellen. Schon vor Jahren, als die Landeskirche Mecklenburgs noch selbstständig und kein Teil der heutigen Nordkirche war, klagte ein Synodaler darüber, dass alle Konfirmanden eines Jahrgangs Mitarbeiter der Diakonie werden müssten, wollte man alle in den nächsten Jahren freiwerdenden Stellen nur mit Kirchenmitgliedern besetzen. Ähnlich sieht es überall in Ostdeutschland aus: In Brandenburg waren schon 2011 rund 67 Prozent der Mitarbeiter in der evangelischen Diakonie konfessionslos.
Die Kirchen haben deswegen bereits ihr Arbeitsrecht geändert. Früher starre Regeln wurden aufgeweicht. So gilt seit 2015 in der katholischen Kirche, dass zum Beispiel eine Scheidung und anschließende Wiederheirat bei Mitarbeitern der Kranken- und Altenpflege anders zu beurteilen ist als bei Mitarbeitern, die etwa in einer kirchlichen Eheberatung tätig sind. Und in der evangelischen Kirche wird eine evangelische Kirchenmitgliedschaft nur noch für Mitarbeitende in der Verkündigung, der Seelsorge und Bildung erwartet. Wer eine evangelische Einrichtung leiten will, muss dagegen lediglich Mitglied einer christlichen Kirche sein.
Insgesamt entspricht das Urteil aus Erfurt deswegen dem Bedeutungsverlust, den die Kirchen in den letzten Jahrzehnten europaweit erlebt haben.Vieles von dem, was einst selbstverständlich war, wird durch die schwindende Mitgliederzahlen der Kirchen infrage gestellt: Denn für Menschen, die selbst aus der Kirche ausgetreten sind oder niemals in ihr Mitglied waren, ist es grundsätzlich schwerer zu verstehen, warum Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften über ein gesondertes Arbeitsrecht verfügen sollen, als für die, die Gemeindemitglieder sind.
Verschärfend kommt hinzu, dass es im Umgang der Kirchen mit ihren Mitarbeitern immer wieder auch Fälle gibt, die im besten Fall als Willkür zu charakterisieren sind. Ein Beispiel dafür ist der Rektor der Jesuitenhochschule St. Georgen in Frankfurt am Main, Ansgar Wucherpfennig. Der Jesuitenpater engagiert sich in der Seelsorge für schwule und lesbische Menschen und tritt für eine Segnung homosexueller Paare in der katholischen Kirche ein. Rom findet das nicht sonderlich gut: Als Wucherpfennig für seine dritte Amtszeit wiedergewählt wurde, verweigerte der Vatikan ihm das „Nihil obstat“, die Unbedenklichkeitserklärung, die für die Übernahme des Rektorenamtes an einer kirchlichen Hochschule vorgeschrieben ist.
Doch solche Entscheidungen stoßen in der Öffentlichkeit heute auf kein Verständnis. Sie tragen dazu bei, die Stellung der Kirchen und Religionsgemeinschaften in der Gesellschaft insgesamt infrage zu stellen. Und für die Rechte der Kirchen gilt nun einmal, was auch für alle anderen Normen gilt: Was nicht mehr verstanden wird, wird auf Dauer fallen.
Das kirchliche Arbeitsrecht verliert mit diesem Urteil ein weiteres Stück seiner
Sonderstellung