Rheinische Post Krefeld Kempen
Borussia emanzipiert sich von Favres Tiki-Taka
2012 begeisterte Gladbach als „Borussia Barcelona“, in der aktuellen Saison erinnert der Stil von Dieter Heckings Team eher an die Fohlenelf der 70er.
MÖNCHENGLADBACH Derzeit findet eine Borussiaisierung der Fußball-Bundesliga statt. Beide Klubs mit diesem Vornamen, zum einen der aus Dortmund, zum anderen der aus Mönchengladbach, führen die Tabelle an und spielen richtig guten Fußball. 4:0 siegten beide am Wochenende, Dortmund in Stuttgart, Gladbach gegen Mainz. Und beide demonstrierten, wie moderner und erfolgreicher Fußball aussehen kann.
Dabei gibt es einige Querverbindungen zwischen den Mannschaften. In Gladbach sind die früheren BVB-Angestellten Matthias Ginter und Jonas Hofmann als Abwehrchef und Mittelfeldmotor wichtige Gesichter des aktuellen Hochs, beim BVB ist der Ex-Gladbacher Marco Reus Kapitän und der frühere Gladbach-Coach Lucien Favre Trainer, zudem gibt es das Gladbach-Eigengewächs Mo Dahoud im Dortmunder Aufgebot. Das Duell der Borussen gibt es erst am letzten Spieltag der Hinrunde, und längst gibt es auf beiden Seiten der Fanschaft Vertreter der These, dass es im Dezember um die Herbstmeisterschaft gehen könnte im früheren Westfalenstadion.
Dort nahm 2015 mit einem 0:4 der Gladbacher auch das Ende der großartigen Ära Favre am Niederrhein ihren Anfang, denn das 0:4 seines damaligen Teams beim BVB, mit dem er seine Gladbacher auf Augenhöhe wähnte, war für Favre fast ein Schock. Fünf Pflichtspiele später zog er sich von seinem Posten zurück. Zuvor hatte er aus einem fast schon abgestiegenen Häufchen Elend ein Team gemacht, das nach 26 Jahren zurück auf Europas Bühne stürmte und einen Fußball spielte, der ähnlich verblüffte wie einst der Fußball der legendären Fohlenelf von Hennes Weisweiler. Favre entwarf eine niederrheinische Version des spanischen Tiki-Taka-Fußballs. Und nach einem herrlichen 3:0 gegen Schalke wurde der Begriff „Borussia Barcelona“entworfen – in Anlehnung an den Stil des von Favre bewunderten FC Barcelona.
Reus war ein Viertel des damaligen Wunderangriffs, zu dem auch Juan Arango mit seinem sensationellen linken Fuß, der umtriebige Mike Hanke und der schnelle Patrick Herrmann gehörten. Wenn die Herren aufzogen, dann mutete das an wie auf der Playstation, so leicht, so locker, so elegant. Besser konnte man das 4-4-2 nicht interpretieren als in jener Phase. Alles, was danach kam, wurde daran gemessen. Wie immer in solchen Fällen, war das Lust und Last zugleich.
Favre-Nachfolger André Schubert versuchte es mit Wildheit, doch fehlte oft die Struktur. Dieter Hecking musste danach wieder Strukturen aufbauen, doch war Gladbach zuweilen zu ausrechenbar, das stürmerlose Spiel war entschlüsselt. Nun, im neuen 4-3-3, ist das Team dabei, sich spielerisch von Borussia Barcelona zu emanzipieren. Und zwar als Borussia Borussia, denn der Stil, den Heckings Mannschaft nun pflegt, ist vergleichbar mit dem der einstigen Fohlenelf: Auch die spielte im 4-3-3 und konterte wild. Im modernen Fußball-Deutsch heißt Kontern umschalten: Gegen Mainz gab es wieder ein Blitztor: Vom Ursprung des Spielzugs bis zum Abschluss dauerte es zehn Sekunden.
Was den Favre-Style mit Heckings neuem Ansatz verbindet: eine starke, gut organisierte Defensive. Während diese bei Favre aber ein engmaschiges Netz spann, in dem sich der Gegner verfing, ist bei Hecking der Angriff der Ursprung der Verteidigung: Die Achter und die Stürmer laufen den Gegner früh an und provozieren schon in des Gegners Hälfte Ballgewinne.Während sich Favres Team im Tiki-Taka-Stil nach vorn zirkulierte und geduldig den Gegner ausspielte und insgesamt etwas akademischer war (aber mit summa cum laude), ist Heckings Ansatz anarchischer, organisiert, aber doch aus dem Bauch heraus und stets auf den schnellen Abschluss aus.
Gemeinsam ist Favres Borussia (sowohl seiner früheren in Gladbach als auch der aktuellen in Dortmund, die ebenfalls im 4-3-3 spielt) und Heckings, dass beide Spaß machen und erfolgreich sind.