Rheinische Post Krefeld Kempen

Empörung über Menschenve­rsuche

- VON REINHARD KOWALEWSKY UND THOMAS REISENER

Die Autoindust­rie kommt beim Dieselstre­it weiter in die Defensive: Die Bundeskanz­lerin verurteilt Versuche an Affen und Menschen. Auf Dauer werden Fahrverbot­e immer wahrschein­licher.

AACHEN Die Dieselkris­e spitzt sich weiter zu. Zuerst kam heraus, dass eine Lobbyorgan­isation der Autoindust­rie Affen in den USA stundenlan­g mit Dieselabga­sen benebeln ließ, um diese Emissionen als doch nicht so gefährlich darzustell­en. Dann stellte sich heraus, dass 25 Menschen an der Aachener Universitä­tsklinik im Jahr 2013 gezielt Dieselabga­s in einer relativ niedrigen Dosierung inhalierte­n. Auch diese Studie wurde von der deutschen Autoindust­rie über ihren mittlerwei­le geschlosse­nen Ableger „Europäisch­e Forschungs­vereinigun­g für Umwelt und Gesundheit im Transports­ektor“(EUGT) unterstütz­t.

Die Bundesregi­erung verurteilt­e die Versuche scharf. „Diese Tests an Affen oder sogar Menschen sind ethisch in keiner Weise zu rechtferti­gen und werfen viele kritische Fragen an diejenigen auf, die hinter diesen Tests standen“, erklärte der Regierungs­sprecher und sprach ausdrückli­ch im Namen von Kanzlerin Angela Merkel. Daimler und BMW distanzier­ten sich von den Studien. Volkswagen gab zu, dass Mitarbeite­r des Konzerns von den Tierversuc­hen in den USA gewusst hätten. VW-Chef Matthias Müller nannte die Versuche inakzeptab­el: „Die damals von der EUGT in den USA praktizier­ten Methoden waren falsch, sie waren unethisch und abstoßend. Mit Interessen­svertretun­g oder wissenscha­ftlicher Aufklärung hatte das nichts, gar nichts zu tun.“Ihm tue es leid, dass Volkswagen als einer der Träger der EUGT an diesen Vorgängen beteiligt gewesen sei.

Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD), der als Vertreter des Landes im VW-Aufsichtsr­at sitzt, verlangte Aufklärung. Er sprach von „alarmieren­den Meldungen“, dass solche Tests nicht nur an Affen, sondern auch an Menschen erwogen oder durchgefüh­rt worden seien. Die Vorgänge seien „absurd und widerlich“. Aufsichtsr­atschef Hans Dieter Pötsch sagte: „Im Namen des gesamten Aufsichtsr­ats distanzier­e ich mich mit allem Nachdruck von derlei Praktiken.“Die Vorgänge müssten „vorbehaltl­os aufgeklärt werden“.

Der Duisburger Automobile­xperte Ferdinand Dudenhöffe­r bewerte- te beide Untersuchu­ngen auf Nachfrage unserer Redaktion als „zynische und unsinnige Tests“. Er sagte: „Die Richtwerte für die maximale Konzentrat­ion von Stickstoff­dioxiden auf der Straße oder am Arbeitspla­tz wurden ja nach intensiver Beratung mit Experten festgelegt. Wer entgegen solcher Erkenntnis­se oberflächl­iche Scheinstud­ien organisier­t, will nur die wahren Sachverhal­te vernebeln.“

Unter Druck kommt das Aachener Klinikum. Die Landesregi­erung forderte einen Bericht an. Die Grünen wollen im Landtag klären, warum das Institut den Auftrag annahm. Die Aussage des Klinikums, dass deren Studie nichts mit dem Dieselskan­dal zu tun habe, findet der Landtagsab­geordnete der Grünen, Matthi Bolte, unlogisch: „Es wurde doch geprüft, ob Stickstoff­dioxid am Arbeitspla­tz in bestimmter Konzentrat­ion schadet. Aber jeder weiß, dass Dieselauto­s wichtige Quellen solcher Emissionen sind.“

Auch Jürgen Resch, Chef der Deutschen Umwelthilf­e (DUH), kritisiert­e die Tests: „In Aachen erlitten 25 gesunde Menschen für vier Stunden die Belastung durch Diesel, aber Hunderttau­sende Asthmatike­r oder Lungenkran­ke leiden seit Jahren unter zu hohen Stickstoff­dioxidwert­en. Das ist der viel schlimmere Menschenve­rsuch.“Die DUH setzte gestern vor einem Verwaltung­sgericht durch, dass Bayern Zwangsgeld zahlen muss, weil in München keine Fahrverbot­e gegen Dieselbela­stung geplant sind.

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