Rheinische Post Krefeld Kempen
Das missbrauchte Vertrauen
DÜSSELDORF Teenager machen ihr eigenes Ding. Sie probieren Stile, Hobbys, Haltungen aus, orientieren sich dabei an ihren Freunden – und sind denen, die das schon länger hinter sich haben, oft ein Rätsel. Dabei sind Jugendliche ja vor allem das: auf der Suche – nach Zielen, für die es sich zu leben lohnt, nach ihrem Platz in der Gesellschaft, nach sich selbst. Natürlich macht sie das auch verwundbar. Darum ist das Entsetzen groß, wenn Vertrauenspersonen wie Lehrer, Trainer oder jetzt ein Priester in einer katholischen Gemeinde in Kleve, junge Menschen bedrängen, ihr Vertrauen missbrauchen, nicht verstehen, was Nähe zu einem Jugendlichen vor allem verlangt: Gespür für die nötige Distanz.
Wenn es zu Missbrauch kommt – emotionaler oder sogar sexueller Grenzüberschreitung – rücken meist die Täter in den Blick. Das ist kein Zeichen mangelnder Empathie, sondern ein verständlicher Reflex: Menschen wollen wissen, warum in ihrer Mitte Schlimmes geschieht. Sie wollen begreifen, um verhindern zu können. Außerdem empfinden viele intuitiv, dass die Betroffenen Schutz benötigen. Doch führt die notwendige Zurückhaltung eben auch dazu, dass die Opferperspektive in öffentlichen Debatten zu kurz kommt. Dass nicht gefragt wird, welche Folgen emotionale Ausbeutung und tiefer Vertrauensverlust nach sich ziehen können. Und wie den Betroffenen zu helfen wäre.
„Missbrauch ist ein Machtgeschehen“, sagt Barbara Haslbeck, die sich seit Jahren mit Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche beschäftigt, viele Betroffene begleitet hat und im Bistum München-Freising in der Weiterbildung von Seelsorgern arbeitet. Gerade Jugendliche seien gefährdet, von Erwachsenen in ein Abhängigkeitsverhältnis gedrängt zu werden. Wenn sie dann irgendwann spürten, dass die Beziehung zu einem Menschen, der ihnen ein Vorbild war, nicht mehr stimmt, dass sie instrumentalisiert werden, stürze sie das in Gefühle von Verwirrung und Scham. „Wenn sich ein Jugendlicher dann etwa seinen Eltern anvertraut, ist es entscheidend, dass sie die Empfindungen ihres Kindes ernstnehmen, nicht abwiegeln, nichts peinlich nennen, sondern sich hinter den Jugendlichen stellen“, sagt Haslbeck. Erst wenn Betroffene das Gefühl zurückgewinnen, dass sie selbst steuern können, was geschieht, dass sie die Deutungshoheit zurückbekommen, können sie beginnen, ihre Erfahrungen zu bearbeiten.
Auch im weiteren Umfeld, etwa in einer Gemeinde oder einem Sportverein, ist Solidarität mit den Betroffenen von enormer Bedeutung. Tatsächlich sind sie aber oft genug mit Teilnahmslosigkeit konfrontiert oder werden gar als Nestbeschmutzer behandelt. „Es gibt viele Klischees über Missbrauchsopfer“, sagt Haslbeck, „meist gelten sie als total zerstört. Treten sie dann aber in die Öffentlichkeit und berichten souverän, was ihnen widerfahren ist, unterstellt man ihnen, dass sie nicht wirklich Opfer seien oder sich nur rächen wollten.“Darum sei es so wichtig, dass auch die betroffenen Institutionen mit Missbrauchsfällen offen umgingen, nach Fehlern im System suchten und die Opfer nicht zu Ausnahmephänomenen erklärten. Denn das mache sie zu Sonderlingen und kapsele sie zusätzlich ab.
Missbrauch ist auch deswegen ein so schmerzhaftes Thema, weil es Verhältnisse in Frage stellt, auf die Menschen im Alltag vertrauen. Natürlich kann ein Fußballtrainer, der Leiter einer Jugendgruppe oder ein Priester im Leben eines Teenagers eine wichtige Figur werden. Das macht Heranwachsen ja aus, dass sich Menschen begeistern, Vorbilder finden, ihnen nacheifern, sich engagieren. Wenn dann gerade dieser Enthusiasmus durch das Fehlverhalten eines Erwachsenen in einen Alptraum verkehrt wird, stellt das die Verhältnisse
Barbara Haslbeck
2016 sechs bis 14 Jahre
24,8 %
2016
„Missbrauch ist ein Machtgeschehen“
Theologische Referentin