Rheinische Post Krefeld Kempen
Seelsorge für Studenten
Die Münsteraner Nightline hört Studenten zu. Leistungsdruck und Stress beschäftigen die Anrufer.
MÜNSTER (dpa) Die Sonne geht unter und Dunkelheit legt sich über Münster. An einem geheimen Ort stellen zwei Studenten den Teekocher an, setzen sich ans Telefon – und dann warten sie. Die ehrenamtlichen Zuhörer der Münsteraner Nightline stellen sich auf Anrufe von Studenten ein, die in den Abendstunden ins Grübeln kommen, Ärger mit ihren Eltern haben oder sich ihren Klausurenstress von der Seele reden wollen.
„Viele Menschen denken möglicherweise: ,Ich muss kurz vor der Klippe stehen, um da anzurufen’“, sagt Sonja Duhe, Sprecherin der Münsteraner Nightline. Aber so ist es nicht. „Es geht uns darum, dass kleine Probleme im Alltag, wie ,Ich habe voll den schlechten Tag’, oder ,Die Prüfung war total doof’ Raum finden“, sagt Duhe. „Vielleicht geht das ein bisschen einfacher, wenn man weiß, dass da auch ein Student sitzt.“
Duhe ist seit fünf Jahren bei der Nightline Münster, dem Zuhörtelefon für die Studentenstadt. Drei Jahre lang hat sie sich gerne selbst die Nächte von 21 bis 1 Uhr um die Oh- ren geschlagen. „Ich hatte einfach Spaß daran, mit Leuten Gespräche zu führen und ihnen dadurch zu helfen“, sagt die 25 Jahre alte Psychologiestudentin. Seit 2015 ist sie die Sprecherin des gemeinnützigen Vereins, der die Nightline betreibt, und sitzt seitdem nicht mehr selbst am Beratungstelefon.
Den Hörer nehmen heute andere in die Hand: Rund 40 Zuhörer und Zuhörerinnen sind für die Münsteraner Nightline an der Strippe. Während der Vorlesungszeit sitzen jeden Abend unter der Woche zwei anonyme Nightliner im Büro, das von der Uni gestellt wird. Der Ort ist geheim. Das Zuhörtelefon legt großen Wert auf Anonymität, damit die Hemmschwelle für Anrufer möglichst niedrig liegt. Das hat sich bewährt: Rund 500 Telefonate führt die Nightline im Jahr.
Die Leitung steht nun schon seit zehn Jahren. In der Zeit haben sich die Sorgen der Studenten merklich verändert. „Früher waren es eher die zwischenmenschlichen Sachen: Beziehungsstress, Probleme mit Freunden und Eltern oder Einsamkeit. Das hat sich von den Prioritäten her verschoben“, erzählt Sonja Duhe. „Jetzt sind es häufig Proble- me im Studium: Also Prüfungsangst, Prüfungsstress oder Jobüberlegungen.“Die Mehrheit der Anrufer seien übrigens Männer, erklärt die 25-Jährige, das sei in den vergangenen Jahren immer so gewesen.
Auch im Semesterverlauf verändern sich die Sorgen der Studenten. Erstsemester melden sich in ihren ersten Wochen, weil sie vom Umzug und dem Alltag an der Universität zunächst überfordert sind. Zum Ende des Semesters drehen sich die Gespräche häufiger um Prüfungsangst oder Klausurenstress. Die längsten Telefonate des Jahres führen die Seelsorger meist in der Weihnachtszeit, dann kann ein Gespräch auch mal ein paar Stunden dauern.
Die Nightliner hören zu, sie haben ein offenes Ohr für die Probleme der Anrufer. Die richtigen Techniken der Gesprächsführung lernen die freiwilligen Helfer von Experten. „Schon seit Jahren gibt es Kontakt mit der Nightline“, berichtet die Sprecherin der bundesweiten Telefonseelsorge, Astrid Fischer. „Beispielsweise wurden Mitarbeiter der Nightline in Schulungen aufgenommen.“
Sonja Duhe betont, dass die Nightline auf keinen Fall ein Gegenangebot zur klassischen Telefonseelsorge sein soll. „Wir vermeiden gerne den Begriff Kummertelefon oder Sorgentelefon, weil es uns nicht darum geht, mit anderen Telefonangeboten zu konkurrieren“, sagt sie. „Wir wollen ein Angebot von Studierenden für Studierende schaffen und auf Augenhöhe telefonieren.“Ähnliche Nightline-Angebote gibt es mittlerweile in zahlreichen weiteren deutschen Städten, etwa in Köln, München und Frankfurt am Main.