Rheinische Post Krefeld Kempen
Es reicht nicht für eine Bewegung
Bislang traten die Liberalen oft genug als Drama-Queen der deutschen Parteienlandschaft auf. Das ist derzeit anders. Die FDP zeigte sich beim Dreikönigstreffen in Stuttgart geschlossen und mit sich im Reinen. Das ist ihr über Jahre nicht gelungen.
Dennoch ist unklar, wohin Christian Lindner seine Partei eigentlich führen möchte. Der Anspruch, aus der FDP eine Art „En Marche“-Bewegung nach französischem Vorbild zu machen, ist zu hoch gegriffen. Bei allem Geschick, im Bundestagswahlkampf auf breiter Front Stimmen einzusammeln, werden die Liberalen weiterhin als eine Partei mit einem eingeschränkten Themenspektrum wahrgenommen: Digitalisierung, Steuern, Bildung, Entbürokratisierung.
Gelungen ist es Lindner, die FDP von ihrem Image als Klientel-Partei zu befreien. Doch das reicht nicht, um eine Volksbewegung zu schmieden. Die FDPThemen sind wichtig und werden von Union und SPD sträflich vernachlässigt. Auf den Nägeln aber brennen den Menschen die Flüchtlingspolitik, die innere Sicherheit, Pflege, Rente und Arbeit.
Dass die FDP eine Art Volksbewegung werden könnte, so wie es Emmanuel Macron in Frankreich gelungen ist, das kauft man ihr schlicht nicht ab. BERICHT
Kohle statt Kirche
Mag die Säkularisierung fortschreiten, ist die Kirche im Ort doch ein besonderer Bezugspunkt. Markenzeichen der Heimat, Stätte der Zusammenkunft. Auch in Immerath, wo heute St. Lambertus für die Braunkohlebagger weichen muss. Das 1888 erbaute Kirchenhaus wurde von den Bewohnern stolz „Dom“genannt. Jahrelang protestierten Bewohner gegen den Abriss. Vergeblich. Das Verfassungsgericht schätzte das Gemeinwohl „Energieversorgung“höher ein als das „Grundrecht auf Heimat“. Das Gotteshaus wurde entwidmet. Garzweiler hat in 50 Jahren 16 Orte und Kirchen platt gemacht. Sicher, alles rechtens.
Man schüttelt trotzdem den Kopf. Der BraunkohleAusstieg ist Konsens, selbst die Betreiberfirmen wollen das Geschäft loswerden und verkaufen Kraftwerke. In Garzweiler wird trotzdem noch lange gebuddelt. Die NRW-Regierungen haben sich nie wirklich getraut, die Grundsatzentscheidung der damaligen SPD-Regierung von 1995 anzupacken. Schade! Man fragt sich heute, ob NRW nicht früher und energischer eine Energiewende hätte einleiten sollen. BERICHT
Türkische Taktik
Sieh mal einer an: Nach zwei Jahren politischer Dauerkrise im Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei kommen ungewohnt versöhnliche Töne aus Ankara. Statt Nazi-Vorwürfen sind plötzlich Freundschaftsbeteuerungen zu hören. Alles also nur ein großer Irrtum? Nein, alles nur Taktik. Denn Erdogans überraschende Charmeoffensive ist nicht einem Umdenken geschuldet, sondern allein der nüchternen Erkenntnis, dass die negativen Folgen der Isolation der Türkei seine politischen Pläne zu durchkreuzen drohen. Erdogan will bei der Präsidentenwahl im kommenden Jahr seine Herrschaft und die seiner islamistischen Nachfolger auf Jahrzehnte zementieren. Dafür muss die Wirtschaft brummen, und dafür braucht er Deutschland.
Eine Hand wäscht die andere – das ist die Politik, die Erdogan vorschwebt, und in deren Rahmen er sich wohl auch die Freilassung politischer Gefangener für entsprechende Gegenleistungen vorstellt. So verlockend solche Deals mit Blick auf die Einzelschicksale inhaftierter Bundesbürger auch sein mögen – man sollte in Berlin die Finger davon lassen. BERICHT TÜRKEI UND DEUTSCHLAND NÄHERN SICH...., SEITE A5