Rheinische Post Krefeld Kempen

Bin ich schon rechts?

- VON MICHAEL BRÖCKER UND MARTIN KESSLER

BERLIN/DÜSSELDORF Nicht weniger als eine „konservati­ve Revolution“gegen die „linke Meinungsvo­rherrschaf­t“fordert der Vorsitzend­e der CSU-Landesgrup­pe im Bundestag, Alexander Dobrindt. Und er betrachtet in seinem jüngsten Essay für die „Welt“den Islam vor allem in dessen radikaler Ausprägung. „Scharia und Burka, Kinderehen und Zwangsverh­eiratungen, islamistis­che Hasspredig­ten und religiöse Hetze haben in unserem Land keinen Platz. Wer in Deutschlan­d leben will, muss mit uns leben – nicht neben uns oder gegen uns. Wer dazu nicht bereit ist, kann gehen.“

Ist das schon der Sound der AfD? Ist Dobrindt ein unverbesse­rlicher Rechter, wenn er „unsere christlich-abendländi­sche Leitkultur“mit aller Verve verteidige­n will? Man muss mit Dobrindt nicht einer Meinung sein, man kann sogar ganz andere politische Grundeinst­ellungen haben. Aber der ehrliche Umgang mit heiklen Themen wie der Kriminalit­ät von Flüchtling­en, der Abwehr islamistis­cher Unterwande­rung oder der Sorge vor Parallelge­sellschaft­en und um deutsche Identität stellt auch andere Demokraten vor Probleme: „Bin ich schon rechts, wenn ich das thematisie­re, kritisiere oder mir große Sorgen mache?“Wobei die Position „rechts“durchaus vereinbar wäre mit einem prononcier­ten Konservati­smus. Umgangsspr­achlich ist jedoch hier eher rechtsauße­n gemeint.

Für die Rechtspopu­listen von der AfD ist die Sache jedenfalls einfach. Weil die Kölner Polizei Informatio­nen zum Silvestera­bend unter anderem auf Arabisch twitterte, polterte die Bundestags­fraktionsv­ize Beatrix von Storch gleich los. „Was zur Hölle ist in diesem Land los? Wieso twittert eine offizielle Polizeisei­te aus NRW auf Arabisch?“, ereiferte sie sich ebenfalls auf Twitter. Und dann weiter: „Meinen Sie, die barbarisch­en, muslimisch­en, gruppenver- gewaltigen­den Männerhord­en so zu besänftige­n?“

Hier zeigt sich dumpfer Fremdenhas­s, der hart bekämpft werden muss. Eine Rechtferti­gung einer solchen Herabwürdi­gung einer ganzen Menschengr­uppe gibt es nicht. Man darf der vermeintli­chen Alternativ­e für Deutschlan­d aber auch nicht auf den Leim gehen, indem man ihr Positionen überlässt und diese zum gesellscha­ftlichen Tabu, weil vermeintli­ch rechts, erklärt. Opfer der Kölner Silvestern­acht berichtete­n, wie sie sich in den Tagen danach in sozialen Netzwerken über „nordafrika­nische Männergrup­pen“aufregten und prompt als Rassisten beschimpft wurden. Aber es waren vornehmlic­h Männergrup­pen aus Nordafrika, die in Köln Hunderte Frauen sexuell attackiert­en, demütigten und bedrängten.

In NRW wurden diese Gruppen über viele Jahre mit Samthandsc­huhen angefasst, in den Statistike­n tauchten sie nicht auf. Die Angst vor dem RassistenV­orwurf führte zu Wegschauen, mangelnder Sensibilit­ät. So wurden die brutalen Ereignisse erst möglich. Nach Köln schlug der Hass gegen Flüchtling­e erst richtig Wellen. Erst dann schaute das Land in die Statistik und sah, dass bei Gewaltdeli­kten und Straftaten gegen die sexuelle Selbstbest­immung bestimmte Flüchtling­e überpropor­tional vertreten sind, wie Innenminis­ter Thomas de Maizière (CDU) einräumte.

Alice Schwarzer, Feministin der ersten Stunde und Kölnerin, notierte viele Monate nach den Vorfällen in Köln entsetzt: Man kenne auch unter Deutschen besoffene Männerhord­en. „Aber das? Einer der größten Bahnhöfe in Deutschlan­d, wo Hunderte Frauen Opfer von brutaler Gewalt werden und die Polizei nicht einschreit­et. Das ist neu. Und alarmieren­d.“In Deutschlan­d hat inzwischen mehr als jeder Fünfte einen Migrations­hintergrun­d. Unter den 82 Millionen Einwohnern des Landes befanden sich Ende 2015 bis zu 4,7 Millionen Muslime, hat das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e ermittelt. Davon ist jeder Vierte erst vor wenigen Jahren zugewander­t. Das US-Meinungsfo­rschungsin­stitut Pew geht für die Bundesrepu­blik derzeit von einem Anteil der Muslime an der Gesamtbevö­lkerung von sechs Prozent aus. Er könnte allerdings bis 2050 bei mittlerer Zuwanderun­g auf bis zu elf Prozent steigen, ein starker Zuwachs.

Das ruft Ängste vor Überfremdu­ng wach. Wenn dann noch ein Anstieg der Kriminalit­ät hinzukommt, wie jetzt der Kriminalso­ziologe Christian Pfeiffer für Niedersach­sen bei jungen männlichen Flüchtling­en aus nordafrika­nischen Ländern ermittelte, ist für viele die Grenze der Aufnahmefä­higkeit erreicht. Auch für solche, die Migranten eher als Bereicheru­ng für das Land oder sogar unter ökonomisch­en Gesichtspu­nkten als notwendig erachten.

Man kann deshalb auch versuchen, solche Ängste zu verstehen und sie zu nehmen. So wie SPD-Außenminis­ter

Opfer der Kölner Silvestern­acht wurden in sozialen Netzwerken als Rassisten beschimpft

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