Rheinische Post Krefeld Kempen
„Deutschland ist großzügig zu Flüchtlingen“
Der Bundesinnenminister verteidigt die Flüchtlingspolitik Merkels, spricht sich aber für einheitliche Standards bei Asylverfahren und Leistungen in Europa aus.
zweite Erkenntnis ist: Politik sollte sich nicht zu sehr von kurzfristigen Stimmungsschwankungen beeindrucken lassen. Wir müssen immer nüchtern bleiben, so nachvollziehbar Stimmungen auch sein mögen. Im September haben ja alle die Flüchtlinge willkommen geheißen. Die Kanzlerin hat niemandem „befohlen“, in München am Hauptbahnhof zu klatschen. Nach der Kölner Silvesternacht waren plötzlich angeblich alle Flüchtlinge Straftäter. Was müsste eine neue Bundesregierung als Erstes anstoßen in der EU? DE MAIZIÈRE Das Schlepperwesen muss beendet werden, dazu bedarf es vor allem einer stringenten Außen- und Entwicklungspolitik sowie des Schutzes der Außengrenzen. Was wir als Nächstes brauchen, ist ein wirklich einheitliches Asylsystem in Europa. Das verhandeln wir gerade in der EU. Es kann nicht sein, dass die Standards so unterschiedlich sind zwischen Rumänien, Finnland, Portugal oder Deutschland. Deutschland ist das Land, in dem die meisten leben wollen, auch weil unsere Verfahrens- und Aufnahmebedingungen im europäischen Vergleich großzügig sind und die Leistungen für Flüchtlinge im EU-Vergleich ziemlich hoch. Das ist Teil des Sogeffekts nach Deutschland. Also sollten die Standards einheitlich, aber auf niedrigerem Niveau sein? DE MAIZIÈRE Asylverfahren und Asylbewerberleistungen müssen in der EU einheitlicher sein als bisher. Die Anerkennungsquoten sind bei uns zum Teil höher als anderswo und das Sozialleistungsniveau auch. Natürlich sind die Lebenshaltungskosten bei uns auch höher als in Rumänien. Man könnte sich im Rahmen einer Angleichung aber auf entsprechende Kaufkraftzuschläge für einzelne Staaten verständigen. Außerdem brauchen wir einen einheitlichen Rechtsschutz: Bei uns können abgelehnte Asylbewerber über diverse rechtliche Klagewege ihre Abschiebung hinauszögern, deutlich mehr als anderswo. Bei vielen dieser Themen haben wir auf EU-Ebene schon Einigkeit erzielt. Ungarn will das EuGH-Urteil zur Flüchtlingsverteilung nicht akzeptieren. Was nun? DE MAIZIÈRE Es ist nicht haltbar, dass sich ein EU-Mitgliedsstaat nicht an ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs hält. Ich werbe aber für Zurückhaltung im Ton, nicht in der Sache. Die Sorge, dass alle, die nach Europa kommen, verteilt würden, ist ja unbegründet. Es geht doch nur um die Verteilung der Schutzbedürftigen. Das ist ein zentraler Unterschied. Je geringer die Zahl derer ist, die nach Europa kommen, desto höher wird die Neigung der Osteuropäer sein, sich an einer Verteilung zu beteiligen. Deswegen müssen wir die Zahl der Flüchtlinge reduzieren. Was kann man tun? DE MAIZIÈRE Öffentliche Drohungen helfen nicht. Ein Staat kann sich nicht einem EuGH-Urteil widersetzen. Sonst muss die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Das ist der richtige Weg. Was ist für die deutsche Sicherheit besser – ein schwarz-grünes oder ein schwarz-gelbes Bündnis? DE MAIZIÈRE Ich muss sagen, dass vieles, was wir mit der SPD innenpolitisch erreicht haben, so mit der FDP und den Grünen auf Bundesebene wohl nicht erreichbar gewesen wäre. Leider auch bei der SPD häufig erst nach zähem Ringen und dadurch einige Male erst mit deutlichem Verzug. Verstehen Sie das aber nicht als Koalitionsaussage zugunsten der SPD. In anderen Bereichen sieht es ganz anders aus. Wirklich? DE MAIZIÈRE Weder wir noch die SPD wollen die große Koalition fortsetzen. Das ist nicht gut für die Demokratie. Aber in meinem Aufgabenbereich würde es schwieriger mit Grünen oder Liberalen. In Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen klappt es doch gut. DE MAIZIÈRE Das stimmt auf Landesebene. Leider lehnen die Bundesgrünen das alles bisher ab. Und Ähnliches gilt auch für die FDP. Für die Sicherheit ist es gut, wenn sich die Union für ein Zweierbündnis entscheiden könnte. Mit Ihnen als Innenminister? DE MAIZIÈRE Jetzt hat erst einmal der Wähler das Wort. Danach kommen die Inhalte, und erst dann kommt das Personal. MICHAEL BRÖCKER UND MARTIN KESSLER FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.