Neue Details im Emmericher Zollraub
Der Prozess gegen die Bande, die in Emmerich 6,5 Millionen Euro aus dem Tresorraum stahl, geht im Oktober weiter. Ein Urteil wird es dieses Jahr nicht mehr geben. Die Täter hatten wohl mit einer geringeren Beute gerechnet.
EMMERICH/JELENIA GORA (bal, hg, dpa, WDR) Im Prozess um den spektakulären Einbruch in das Zollamt Emmerich wird es in diesem Jahr kein Urteil geben. Das hat das polnische Gericht in Jelenia Gora dem WDR mitgeteilt.
Anfang Juli waren zwei Termine angesetzt, daher sah alles danach aus, als könne der Prozess zügig beendet werden. Der nächste Anhörungstermin soll allerdings erst im Oktober stattfinden, wie das Gericht bestätigte. Weitere Termine gebe es darüber hinaus noch nicht.
Schon der Prozessstart war verschoben worden, nachdem einer der Angeklagten ein ärztliches Attest für den Zeitraum vorgelegt hatte. Er ist einer von sieben Angeklagten, die sich vor Gericht verantworten müssen.
Sechs Männer und eine Frau müssen sich in Polen vor Gericht verantworten. Ihnen wird die Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung und Diebstahl mit Einbruch vorgeworfen. Sie müssen nach polnischem Recht mit harten Strafen von bis zu 15 Jahren Haft rechnen.
Die Tat, die ihnen zur Last gelegt wird, könnte aus einem Hollywood-Film stammen: Laut den Ermittlungen sollen drei Täter am Allerheiligen-Feiertag 2020 in das zu diesem Zeitpunkt unbewachte Amt in Emmerich eingebrochen sein, mit einem professionellen Kernbohrer im Keller eine Wand durchgebohrt und den Safe der Behörde geknackt haben. Knapp 6,5 Millionen Euro Beute waren danach verschwunden.
Bei dem Einbruch nach „Panzerknacker“-Manier soll ein vierter Mann Schmiere gestanden haben. Mitangeklagt sind unter anderem ein mutmaßlicher Tippgeber, der laut Anklage selbst deutscher ZollMitarbeiter war, sowie eine Frau, die vor allem als Vermittlerin tätig gewesen sein soll. Dem mutmaßlichen Anführer mit dem Pseudonym „Cadra“wirft die Staatsanwaltschaft auch die Gründung und Leitung einer kriminellen Vereinigung vor.
Fünf Angeklagte haben die polnische Staatsangehörigkeit, einer ist Bosnier, der mutmaßliche Tippgeber für den Millionendiebstahl hat die doppelte Staatsbürgerschaft. Er ist Deutscher und Pole. Er habe der Gruppe Pläne des Tresors zur Verfügung
gestellt. „Dieses Wissen war notwendig, um den Einbruch zu planen und vorzubereiten“, sagen die polnischen Ermittler. Die Täter hätten mit Spezialbaugeräten „an
der am wenigsten gesicherten Stelle“gebohrt.
Im Mai 2022 waren nach aufwendigen Ermittlungen vier Verdächtige in Görlitz festgenommen worden –
darunter der Zollbeamte. Gut vier Wochen später folgten drei weitere Festnahmen. Der Zugriff der polnischen Behörden vom Mai verlief dabei ähnlich spektakulär wie die Tat:
In einem von der polnischen Polizei veröffentlichten Video ist zu sehen, wie schwer bewaffnete Spezialkräfte eine Tür aufsägen, Blendgranaten zünden und eine verdächtige Wohnung stürmen. Ein Verdächtiger wurde nur mit Unterhose bekleidet und am Boden liegend gefilmt.
Bei dem Zugriff beschlagnahmte die Polizei auch größere Mengen Bargeld – möglicherweise aus der Beute des Einbruchs, die bis dahin spurlos verschwunden gewesen war. Nach polnischen Berichten sollen die Tatbeteiligten sich über die Verteilung der Beute gestritten haben und damit den Behörden aufgefallen sein.
Der polnische Journalist Marcin Rybak von der Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“hat den Fall intensiv beobachtet. In einem Interview mit dem WDR erklärt er, dass der deutsche Zollmitarbeiter Dawid L. feststellte, dass im Tresor große Geldsummen lagen. Auf einem Campingplatz in den Niederlanden hatten die Täter wohl einen Stellplatz gemietet und dort auch alle Fahrzeuge und die Spezialwerkzeuge deponiert.
Eigentlich wollten sie schon eine Woche vor Allerheiligen in das Zollamt einbrechen, sagt Journalist Rybak, doch ein Zollmitarbeiter hat an dem Tag länger im Zollamt gearbeitet. Daher hatte die kriminelle Gruppe an Allerheiligen offenbar einen zweiten Versuch gestartet – und es geschafft. Sie sollen den Tatort dabei nach WDR-Informationen mit einer Chlorlösung gereinigt und anschließend mit einer Zigarette und Haaren von Unbeteiligten falsche DNA-Spuren gelegt haben. Selbst die Kennzeichen an den Autos waren gefälscht. Auch der anschließende Geldtransport nach Polen war durchdacht: „Für sie schien es, dass die Polizei nach einem Auto suchen würde, das mit der Beute flüchtet. Auch von einem Bus war von Anfang an die Rede.“
Auf dem Grundstück ihres Freundes in den Niederlanden hätten sie einen Teil der Beute in zwei Busse gepackt, berichtet Rybak: „Sie luden die Busse auf Lastwagen und fuhren mit diesen Lastwagen nach Zgorzelec.“
Die Täter hatten nach Marcin Rybaks Informationen wohl mit 500.000 Euro gerechnet, doch am Ende finden sie wohl ganz genau 6.449.802,49 Euro. Das Geld war zuvor bei Zollkontrollen an der deutsch-niederländischen Grenze sichergestellt worden.
Der polnische Journalist Marcin Rybak erklärt, dass es wohl einen Streit um die Beute gegeben habe. Der deutsche Zollmitarbeiter Dawid L., sollte rund 1,5 Millionen Euro vom erbeuteten Geld erhalten. Doch ein Komplize, der ihm dieses Geld geben sollte, nahm sich selbst wohl eine Million Euro und gab dem Zollmitarbeiter nur rund 500.000 Euro. Als Dawid L. dies bemerkte, vertraute er sich anderen Personen in der polnischen Unterwelt an. Dadurch erreichte die Information wohl auch die Ermittler.