Ein Pfarrer hinter Gittern
Wer bei Hauke Faust in den Gottesdienst geht, ist vorbestraft und manchmal nicht einmal religiös. Für den evangelischen Theologen ist es trotzdem sein Traumjob. Ein Besuch in der JVA.
KLEVE/DUISBURG Wer Hauke Faust an seinem Arbeitsplatz besuchen möchte, wird von ihm an der Straße abgeholt. Vor der Sicherheitsschleuse, in der Handy und Ausweis abgegeben werden müssen. Vor den sieben Stahltüren, die Faust mit einem antiquiert wirkenden Schlüssel öffnet. Seine Gemeinde hat einen kürzeren Weg. Die Menschen, die sonntags zu ihm in den Gottesdienst kommen, leben bereits hinter der Schleuse und den Stahltüren. Sie sind Gefangene in der JVA DuisburgHamborn oder Kleve. Hauke Faust ist ihr Seelsorger.
In Fausts Gesicht liegt nichts von der Rauheit des Ortes, an dem er arbeitet. Trotz seiner bereits ergrauten Haare strahlt er mit seinem aufmerksamen Blick, der modischen Brille und den Ringen in beiden Ohren fast schon Jugendlichkeit aus. „Ich muss dem Menschen mit Respekt begegnen, auch wenn ich seine Taten verabscheue“, sagt Faust mit freundlicher Stimme. Oft schaue er gar nicht nach, was die Mitglieder seiner Gemeinde draußen so verbrochen haben.
In Nordrhein-Westfalen gibt es mehr als 100 Menschen mit Fausts Aufgabe. Die meisten von ihnen sind katholische oder evangelische Pfarrer. In vielen Gefängnissen gibt es mittlerweile allerdings auch islamische Theologen, die sich um das Seelenheil der Gefangenen kümmern.
Für die Inhaftierten sind sie oft die einzigen Menschen, mit denen sie offen über Persönliches, über Ängste und Sorgen sprechen können. „Er ist anders“, sagt Faust über die Rolle des Seelsorgers im Gefängnisalltag.
Fausts Gemeinde, das sind in der Regel 30 bis 40 Menschen, die alle 14 Tage zu seinen Gottesdiensten kommen. Der evangelische Pfarrer wechselt sich dabei mit seinem katholischen Kollegen ab. Die Gefängniskirche in Duisburg-Hamborn verfügt über einen Altar zum Predigen, eine zurzeit selten genutzte Orgel und einzelne Holzstühle für die Messebesucher. Links und rechts vom Altar hängen große Misereor-Hungertücher. Auf einem davon hat ein nigerianischer Künstler Szenen zum Thema Schöpfung verewigt. Hinter dem Altar scheint durch ein Fenster die Sonne in den Raum. In der Ferne sind Gitterstäbe zu sehen. Unter der Woche treffen sich hier auch mal die Justizvollzugsbeamten zur Besprechung.
Faust war früher Pfarrer in „normalen“Gemeinden, war für den christlich-islamischen Dialog zuständig. 2001 bewirbt er sich erstmals auf eine halbe Stelle als Gefängnisseelsorger – in einer Jugendstrafanstalt im Saarland. „Ich habe lange überlegt: Soll ich das machen, kann ich das machen?“Faust entscheidet sich dafür und ist von seiner Arbeit begeistert. 2004 wechselt er auf zwei halbe Stellen in Duisburger Gefängnissen. Als eins schließt, predigt er nebenbei wieder in einer regulären Gemeinde. Seit fünf Jahren ist er neben seiner Arbeit in Hamborn auch für die JVA Kleve zuständig. „Hier ist es sehr stark auf Seelsorge konzentriert “, sagt Faust. Draußen gehe es viel mehr um Verwaltung und Organisation. Aufgaben, die er nicht vermisst.
Dabei stört ihn auch nicht, dass viele der Gefangenen mit dem Protestantismus eigentlich gar nicht so viel anfangen können. „Das sind alle möglichen Menschen, aus allen Religionen. Sie suchen einen Ort, an dem sie zur Ruhe finden können“, sagt er über seine Gottesdienstbesucher. Dabei sind die Messen nur ein kleiner Teil seiner Wochenroutine. Faust leitet eine Gesprächs- und eine Spielgruppe, führt Einzelgespräche. „Ich sage im Gefängnis immer: Nehmt mit, was ihr mitnehmen könnt“, sagt Faust. Gerade am Wochenende seien die Gottesdienste oft die einzige Chance, mal die Zelle zu verlassen. Besonders schlimm sei es an Weihnachten. „Ohne Arbeit und mit wenig Freizeit werden die Einsamkeit und die Trennung von der Familie bewusst.“
Wenn er wochentags in sein Büro kommt, liest Faust sich erst einmal die neuen Anträge in seinem Fach durch. „Ich möchte gerne in die Kapelle, um zu beten“, schreibt einer der Gefangenen. Ein Freund sei gestorben. „Ich hätte gerne ein Einzelgespräch mit der Seelsorge. Ich brauche Trost und Hoffnung“, schreibt ein anderer. Faust muss dann mit der Gefängnisleitung abklären, was die einzelnen Insassen dürfen. Nicht für alle gelten die gleichen Regeln. „Inhaltlich bin ich dann völlig frei“, sagt er. Da unterstehe er nur seiner Kirche.
Als er seine Stelle als Gefängnisseelsorger antrat, hatte Faust Albträume. Immer wieder träumte er, dass er seinen Schlüssel nicht finden könne. Ansonsten habe er sich bei seiner Arbeit nie unwohl gefühlt, sagt er. „Wenn sie Angst haben, dann ist das nichts für sie.“Und doch gibt es die Gefangenen, bei denen ihm die Offenheit schwerfällt. „Es kann an der Straftat liegen und wie jemand mir und anderen gegenüber auftritt.“Dann könne er immer sagen: „Vielleicht sollten Sie mit jemand anderem sprechen.“
Bei aller Distanz: Natürlich geht auch Faust das Schicksal seiner Gemeindemitglieder manchmal nahe. Auf der Heimfahrt, gerade auf der langen aus Kleve nach Duisburg, kann er oft abschalten. Für den Rest tauscht er sich mit Kollegen aus. Auf eine Art, die seine Schweigepflicht nicht verletzt, wie er sagt. Ausgleich findet er im Fitnessstudio, beim Fußballgucken und auf Reisen mit seinem Mann. Oft in dessen Heimat Dänemark. „Ich trenne klar zwischen Beruf und privat“, sagt Faust.
Was passieren kann, wenn das nicht so gut gelingt, zeigt ein aktueller Fall aus der JVA Heinsberg. Dort wollte im Juli ein katholischer Seelsorger
Haschisch, Mobiltelefone und Ladegeräte ins Gefängnis schmuggeln. Versteckt in 13 Dönern, die jedoch wegen ihrer Form bei der Kontrolle auffielen. Der Seelsorger wurde vom Bistum Aachen freigestellt und erhielt in der JVA Hausverbot. Faust interessiert der Fall. Er wüsste gerne, was bei dem Kollegen schiefgelaufen ist.
Hauke Faust ist in einer Doppelrolle. Halb ist er dem Gefängnisdirektor unterstellt, halb seiner Landeskirche. Manchmal hadert er mit dem System. „Ich finde, dass generell zu viel inhaftiert wird“, sagt er. Vor allem bei kleineren Delikten und Ersatzfreiheitsstrafen. Doch es gebe auch Menschen, die es einfach alleine nicht schaffen. Für sie sei das Gefängnis häufig ein letzter Ausweg. „Wer kümmert sich sonst um die Leute, die keiner mehr haben will?“Es müsste, so sagt er, viel mehr Angebote für Menschen geben, die alleine nicht mehr klarkommen.
Da Faust selbst in Duisburg lebt, trifft er manchmal draußen auf ExGefangene. Häufig beim Einkauf in der Innenstadt. Bei den „kurzen, freundlichen Begegnungen“frage er manchmal, was sie denn heute so machten. Einige sind dann peinlich berührt, andere erzählen stolz. Viel Kontakt hat er zu keinem seiner Ex-Gefangenen. Nur manche, die schreiben ihm auch noch, wenn sie schon längst nicht mehr in Hamborn inhaftiert sind. „Dann schreibe ich auch zurück“, sagt Faust.