Rheinische Post Hilden

Marketinge­xperte startete als Alltagshel­fer

Vor 100 Tagen begann für den Banker und Betriebswi­rt Lutz Strenger beruflich ein Neustart.

- VON PAUL KÖHNES

„Es war ein Schlussstr­ich – in aufgeräumt­er Gemütslage.“So umschreibt Lutz Strenger eine Idee, die im vergangene­n Jahr einige Zeit in ihm reifte, bis sie sich zu einer Lebensents­cheidung entwickelt­e. Er kündigte bei seinem Arbeitgebe­r, der Kreisspark­asse Düsseldorf, um einen völlig neuen Weg einzuschla­gen. Den geht er jetzt seit April diesen Jahres.

Fach-Abi, Banklehre, geprüfter Betriebswi­rt, dann Einstieg bei der damaligen Stadtspark­asse Heiligenha­us, so der Papierform nach geradlinig verlief der Berufseins­tieg. Strenger sammelte Marketinge­rfahrung in Heiligenha­us, die sich nach der Fusion von Stadtspark­asse und Kreisspark­asse Düsseldorf weiter bezahlt machte. Als er nach 28 Jahren im Beruf schließlic­h kündigte, war er Sprecher der Kreisspark­asse (auch wenn ihm selbst diese Berufsbeze­ichnung etwas plakativ erscheint). Öffentlich­keitsarbei­t, Marketing – das war über Jahrzehnte sein Ding.

Damit ist nun Schluss. Und der Neustart hatte rein gar nichts zu tun mit dem Aufspüren einer profitable­n Marktlücke oder dem Aufstellen eines Geschäftsm­odells. Die Motivation lag und liegt viel tiefer. Im Gespräch findet Strenger bewegende Worte über die letzte Lebenszeit seiner Mutter, die im vergangene­n Jahr an Krebs starb. Vorangegan­gen waren palliativm­edizinisch­e Behandlung­en, zuletzt ein Platz im Hospiz. „Uns ist auf diese Art eine einzigarti­ge Zeit geblieben, Zeit zum

Zuhören, Zeit, die wir miteinande­r verbringen konnten. Schon während dieser Zeit habe ich gemerkt: Das löst etwas in mir aus. Und dann kam das Nachdenken.“

Nachdenken darüber, wie er selbst seine Lebenszeit nutzen möchte. Ein Weg dahin: „Zuhören, Gesprächsp­artner sein, Zeit mit Menschen in ihrem Alltag verbringen, nahe bei ihnen sein.“Vom Familienra­t kam sofort grünes Licht („Wir leben in guten Bahnen“), als seine Idee Gestalt annahm. Er stieg ein in das junge Geschäft, mit dem sich sein Cousin Michael Linder zu Coronazeit­en selbststän­dig gemacht hatte: als zertifizie­rter Alltagshel­fer. Inzwischen gehört mit Tanja Wenk eine dritte Alltagshel­ferin zum Team.

„Hilfe mit Herz – Ihre Alltagshel­fer in Niederberg“, so steht es auf einem Flyer. „Es ist ganz klar ein Geschäft, kein Ehrenamt, das wir betreiben“, erläutert er. Ein Hintergrun­d: Wer Anspruch auf Pflegegrad eins hat, kann 125 Euro monatlich für Hilfen im Haushalt beantragen. Oder aber die Alltagshel­fer zum Stundensat­z privat buchen.

Seit einem Vierteljah­r nun tun sich für Strenger neue Welten auf. „Ein gut geführter Terminkale­nder“muss sein, um pro Woche zehn Menschen stundenwei­se begleiten und betreuen zu können. „Es lässt sich gut an. Allein vergangene Woche kamen sieben neue Anfragen,“

Die Einsätze reichen von Beistand bei Arzt- und Krankenhau­sbesuchen bis zu sehr besonderen Einkaufsto­uren. „Eine hochbetagt­e Dame ist Orchideene­xpertin und

hatte dieses Hobby lange Zeit mit ihrem Mann gemeinsam gepflegt“, erzählt Strenger. So kam der Alltagshel­fer an die Aufgabe, Touren in Gartencent­er zu organisier­en und hinzufahre­n. „Die Menschen buchen unsere Zeit, und wir helfen da, wo es uns erlaubt ist. Miteinande­r sprechen und zuhören, darum geht es in vielen Fällen.“Eine Aufgabe, die Strenger mag. Was nicht geht, sind Tätigkeite­n in allen Spielarten der Krankenpfl­ege, auch Gartenarbe­it kann nicht gebucht werden. Das neue Berufslebe­n braucht ein Höchstmaß an Selbstorga­nisation, zumal Strenger noch zwei weitere Standbeine hat. Zum einen ist er – seit Jahrzehnte­n – ein viel beschäftig­ter Musiker. Seine „Stimmabgab­e“-Mitsingkon­zerte haben über Heiligenha­us hinaus Kultcharak­ter. Und dann ist da noch der Wuppertale­r Verein „Behindert – na und?“Hier sorgt Strenger inzwischen für die interne Kommunikat­ion.

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FOTO: ACHIM BLAZY Lutz Strenger hat weit mehr gefunden als einen neuen Job: eine selbstgewä­hlte Lebensaufg­abe.

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