„Ich will nicht mehr Grundschulleiter sein“
Auch die immer neuen Corona-Auflagen des Ministeriums sorgen bei Grundschullehrern für blankes Entsetzen.
Schon vor Ausbruch der Corona-Pandemie hatten wir Grundschullehrer kaum Spielraum, was das Kollegium angeht. Wenn hier jemand ausfällt, heißt das für mich als Leiter einer Grundschule: Das muss irgendwie kompensiert werden. Seit zwei Jahren hat sich diese Situation noch weiter zugespitzt. Wir sind alle am Limit, die Auswirkungen der Pandemie mit den neuesten Test-Auflagen verlangen uns alles ab. Wir übernehmen so viele Aufgaben, die nichts mit unserem Beruf zu tun haben – jetzt wieder veränderte Testungen.
Die letzten Neu-Verordnungen aus dem Ministerium erreichten mich abends um 22.13 Uhr. Meine Aufgabe ist es, Eltern und Kollegen über die neue Situation zu informieren – über Nacht. Das passiert nicht bloß ein Mal, das passiert regelmäßig. Am grünen Tisch überlegen sich Leute, die Schule offensichtlich nicht von innen kennen, etwas, das wir im Lehrerkollegium umsetzen sollen – obwohl klar ist, dass es vorne und hinten nicht passt.
Ein Beispiel gefällig? Meine Kollegen und ich testen jetzt noch vor Unterrichtsbeginn die Kinder, deren Klassenpool positiv ist. Dazu haben wir keine Anleitung bekommen oder Schutzkleidung, das machen wir mal eben so. Wohl wissend, dass es eine potenzielle Ansteckungsgefahr gibt. Liegt ein individueller positivTest vor, muss das Kind – es handelt sich um sechs- bis zehnjährige Kinder, die mitunter wirklich sensibel sind – isoliert werden. Wo und von wem kann das Kind betreut werden, wohin setze ich es? Ins Sekretariat? Das geht nicht. In eine Ecke, wo es alleine ist? Das ist ausgeschlossen, irgendwie muss das Kind doch betreut und umsorgt werden. Parallel dazu muss unmittelbar der Erziehungsberechtigte informiert werden. Da hoffe ich dann, eine aktuelle Telefonnummer zu haben und wirklich schnell jemanden zu erreichen. Und natürlich kann es passieren, dass eine Mutter sagt, sie stünde gerade im OP oder ist in einer Konferenz.
Da kann sie ja nicht mal eben weg. Da versuche ich dann auch, eine Lösung im Sinne des Kindes zu finden. Meine eigentliche Arbeit bleibt liegen. Um guten Unterricht oder Schulentwicklung geht es in meinem Job schon lange nicht mehr, es geht nur noch um das Abarbeiten von Missständen oder das spontane Reagieren auf Ideen des Ministeriums.
Der normale Schultag beginnt für mich ab 5 Uhr, dann piepen die Endgeräte. Per SMS, WhatsApp, EMail oder Anruf stellen mir Eltern ihre Fragen. Bislang stand noch kein Vater vor meiner Haustür, um etwas zu erfragen. Aber für ausgeschlossen halte ich inzwischen nichts mehr. Dass die Eltern Infos wollen und brauchen, ist mir klar. Vom Land NRW kommt nicht genug Input, es gibt leider keine Hotline für die teils individuellen Fragen der Eltern, die Gesundheitsämter sind an der Kapazitätsgrenze, also werde ich als Schulleiter gefragt, wie mit Quarantänebestimmungen, PCR-Testungen oder Bürgertests zu verfahren ist. Auch Papierkram, also was Eltern beim Arbeitgeber vorlegen wollen, wenn ihr Kind wegen eines positiven Tests nicht zur Schule kann und Eltern zu Hause zur Betreuung bleiben – Omas sollen ja nicht mehr einspringen –, soll ich erstellen und vorlegen. Es wird immer umfassender und absurder.
Abends als Ausgleich zum Sport zu gehen, ist unmöglich. Wenn gegen 20.30 Uhr das Ergebnis der Pool-Testung aus dem Labor kommt und ein positiver Befund dabei ist, muss ich schnellstmöglich die betroffenen Eltern und die Klassenleitung erreichen. Diese
Grundschulleiter Mettmann müssen schließlich etwas Zeit haben, sich auf die veränderte Situation am nächsten Schultag einzustellen. Für die Eltern heißt dies möglicherweise: mit dem Kind zum Bürgertest zu fahren und für den Fall der Fälle eine Betreuung für das Kind zu organisieren, für die Lehrkräfte heißt dies: (ungeschützt!) morgens die Klasse zu testen oder Ergebnisse von Bürgertestungen entgegenzunehmen und natürlich Listen darüber zu führen. Also mache ich abends nichts Privates, anstelle dessen versuche ich mich in aktuelle Verordnungen einzulesen, um für alle Neuerungen und neue
„Ich arbeite längst für zwei“
Elternfragen gewappnet zu sein.
Ich arbeite längst für zwei. Kein Einzelfall, ich bin gut mit anderen Kollegen vernetzt. Auch mit Kollegen in Köln – ein anderer Regierungsbezirk mit anderer Vorgehensweise und den gleichen Problemen. Zum Glück haben wir hier ein eingespieltes, gut funktionierendes Kollegium. Einen Burnout will und kann ich mir nicht leisten, ich bin aus vollem Herzen überzeugter Pädagoge. Wenngleich: schulisch kommt hier seit Beginn der Pandemie alles zu kurz. Da helfen gutgemeinte Nachhilfe- und Finanzprogramme des Landes wenig. Seit den Weihnachtsferien fehlen in jeder Klasse regelmäßig viele Kinder. Wir unterrichten deshalb quasi doppelt, den einen Teil im Präsenzunterricht und nachmittags den anderen Teil, der sich in Quarantäne befindet oder infiziert ist, online. Es entstünden sonst zu gravierende Lücken.
Wenn mich ein junger Lehramtsstudent fragt, ob ich mich noch einmal für meinen Beruf entscheiden würde, antworte ich bedauernd: Da hast Du das niedrigste Gehalt, die meisten Pflichtstunden und unzählige nicht pädagogische Zusatzaufgaben. Aktuell sage ich: Nie wieder Leitung einer Grundschule!“