Neue Regeln, alte Ref lexe
Jeder Mensch hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit“, lautet Artikel 6 der Grundrechte aller Europäer. Mit dem Aufkommen der Corona-Pandemie hatten sich die inneren Gewichte dieses Grundrechts massiv verändert: Zugunsten der Sicherheit vor Ansteckungen waren die Nationalstaaten in uralte Reflexe zurückgefallen und hatten nicht mehr die Freiheiten der Europäer im Sinn, sondern nur ihre eigenen Einwohner im Blick: Grenzen dicht, Auflagen für Ankommende, das schien ein naheliegendes Gebot. Nachhaltig funktioniert hat es nie. Nationale Alleingänge helfen selten gegen globale Virenbedrohungen. Insofern ist das Umsteuern der Europäischen Union bei den Reiseregeln zu begrüßen, wonach Einschränkungen der Reisefreiheit nicht mehr von der regionalen Herkunft, sondern vom individuellen Schutzstatus abhängen sollen.
Doch das alte Denken vom Abschotten findet sich auch in den neuen EU-Empfehlungen. Denn sie sind verknüpft mit einer Ampel. Auch sie ist ein Instrument, das in der Theorie funktioniert: Jede Region wird daraufhin überwacht, ob alles im grünen Bereich ist, ob die Situation mit Gelb oder Orange als gefährlich zu kennzeichnen ist oder ob die Lage außer Kontrolle geraten und damit Dunkelrot zu verwenden ist. Dann – so die Rückfallposition – sollten die Mitgliedstaaten auch wieder Reiseeinschränkungen unabhängig vom individuellen Impfstatus einführen können.
Es ist bezeichnend, dass bereits zum Start des neuen Reisesystems ganz Europa dunkelrot ist. Und das bedeutet, dass Europa den richtigen Umgang mit Corona genauso wenig gefunden hat wie jedes einzelne Mitgliedsland. Damit ist die Gefahr verknüpft, dass die Politik ihre Glaubwürdigkeit verspielt, wenn sie das Signal gibt, dass Rot künftig nicht mehr für Stopp, sondern für Lockern und Losfahren stehen soll.
BERICHT DAS ÄNDERT SICH AN DEN EU-IMPFREGELN, WIRTSCHAFT