Rheinische Post Hilden

Im Tal der röhrenden Hirsche

Der Schweizer Nationalpa­rk ist ein Rückzugsge­biet für bedrohte Tiere und wanderfreu­dige Touristen.

- VON ULRICH WILLENBERG

„Da schaut, dort fliegt ein Steinadler. Er jagt nach Murmeltier­en.“Exkursions­leiter Martin Schmutz zeigt gen Himmel. Die meisten seiner Gäste entdecken den stolzen Vogel erst bei einem Blick durch das Fernglas. Die Murmeltier­e haben die Gefahr längst erkannt. Mit einem schrillen Pfiff warnen die pummeligen Pelzträger ihre Artgenosse­n und flitzen in die sicheren Höhlen.

Schmutz begleitet eine Gruppe von Wanderern im einzigen Nationalpa­rk der Schweiz. Im Herzen der Alpen gelegen, beherbergt das Schutzgebi­et eine reiche Flora und Fauna.

Inzwischen ist auch der vom Aussterben bedrohte Bartgeier hier wieder heimisch, eine von 100 Vogelarten im Park. Früher machten Menschen Jagd auf den imposanten Vogel, dessen Spannweite fast drei Meter beträgt. „Die Einheimisc­hen glaubten, dass er sich Lämmer und sogar Kinder holt“, berichtet Schmutz. Das ist natürlich Unsinn, wie man längst weiß. Auf seinem Speiseplan stehen auch Knochen von verendeten Tieren, die der Vogel aus großer Höhe auf Felsen fallen lässt, bis sie in schnabelge­rechte Stücke zerspringe­n.

Unrecht getan haben die Menschen lange Zeit auch dem Tannenhähe­r, der das Logo des Nationalpa­rks ziert. Früher wurden Prämien für jedes getötete Tier gezahlt. „Er galt als schlechter Vogel, weil er die Samen der Arvenbäume frisst“, sagt Schmutz. Einheimisc­he fürchteten deshalb, dass sich die Bäume nicht weiter vermehren könnten. Doch das Gegenteil ist der Fall, wie Forscher erst vor 50 Jahren feststellt­en. „Der Tannenhähe­r sorgt für die hier willkommen“, sagt Martin Schmutz. Doch nicht überall in der Schweiz. Südlich des Parks in Puschlav wurde im Februar 2013 Braunbär „M 13“abgeschoss­en. Immer wieder hatte er sich in Dörfern herumgetri­eben und keine Scheu vor Menschen gezeigt. Zuletzt sorgte der Petz für Schlagzeil­en als er eine 14-Jährige so sehr erschreckt­e, dass sie mit einem Schock in eine Klinik eingeliefe­rt wurde.

Wenn im Oktober die lärmende Brunft vorbei ist und sich die Lärchen in leuchtende­s Gold verwandeln, dann wird es ganz ruhig im Park. Fällt der erste Schnee, dann steigen die Hirsche hinab in die grünen Täler außerhalb des Nationalpa­rks, um zu äsen.

Längst haben es sich die Murmeltier­e in ihren mit Heu ausgepolst­erten Höhlen gemütlich gemacht. Ganze 200 Tage dauert ihr Winterschl­af. In dieser Zeit zehren sie von den Fettreserv­en.

„Das ist kein lustiges Leben“, vermutet Schmutz. Die Temperatur der Murmeltier­e sinkt während des Winterschl­afs von 38 bis auf etwa fünf Grad ab, das Herz schlägt nur zweimal die Minute.

Im Winter ist der Nationalpa­rk gesperrt. Martin Schmutz arbeitet dann als Skilehrer. Touristen können sich das ganze Jahr im Besucherze­ntrum in Zernez über das Schutzgebi­et informiere­n. Die interaktiv­e Ausstellun­g lohnt auch für Kinder. Besonders spannend ist der simulierte Flug eines Bartgeiers über die Alpen, die Route lässt sich per Mausklick bestimmen. Eine nette Idee ist auch die „Geweihdreh­orgel“. Die Installati­on ermöglicht es den Gästen, einem ausgestopf­ten Hirschkopf unterschie­dlich entwickelt­e Geweihe aufzusetze­n. Und sie können im begehbaren Murmeltier­bau einen Eindruck vom Leben unter Tage gewinnen.

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