Rheinische Post Hilden

Pionierin in einer Macho-Welt

Ingeborg Schober galt als erste deutsche Rockkritik­erin in dem männerdomi­nierten Milieu. Nun erscheinen ihre Texte als Buch.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Warum klingt es am Rhein so schön? Im Jahr 1979 reiste Ingeborg Schober nach Düsseldorf. Sie wollte über die dortige Szene schreiben, über die Tradition, in der Bands wie La Düsseldorf und Kraftwerk standen und ihre Elektronik-Popsongs produziert­en. Schon bei der Ankunft im Hotel meinte sie, eigentümli­che Töne und Klänge zu vernehmen und die „Wellen und Schwingung­en“dieser Stadt zu spüren. „So elektrisie­rt habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt“, schreibt sie: „Nicht nur, weil ich beim Öffnen und Schließen der Zimmertür ständig eine gewischt bekomme.“

Die 2010 gestorbene Ingeborg Schober aus München gilt als erste Rockkritik­erin Deutschlan­ds. Soeben erschien ein Sammelband mit ihren besten Texten aus den 70erund frühen 80er-Jahren. „Die Zukunft war gestern“heißt er, Gabriele Werth hat ihn herausgege­ben, und zwischen den Artikeln, die Schober in Zeitschrif­ten wie „Sounds“und den bei Rowohlt in Buchform verlegten „Rock Sessions“veröffentl­ichte, stehen Statements von berühmten Fans. Bela B. von den Ärzten bezeichnet sie als „Star“. Sandra Maischberg­er spricht von ihr als Person, zu der man habe aufblicken können, weil sie „die einzige Frau in diesem Männerhauf­en“gewesen sei.

Und das ist auch die zweite Geschichte, die dieser lesenswert­e Band erzählt: wie männlich die Rockmusik der 70er-Jahre war. Und wie langsam sich daran etwas änderte. Tatsächlic­h dürften den meisten beim Stichwort Rockkritik zunächst Leute wie Robert Christgau, Greil Marcus, Lester Bangs und Nick Kent einfallen. Alles Männer. Es war ein Spiegel dessen, was man auch auf der Bühne erlebte. Man muss nur mal die Worte „Led Zeppelin“und „Jeans“bei der Google-Bildersuch­e eingeben: Uuuuh. Künstlerin­nen wie Janis Joplin waren die Ausnahme.

Und selbst die wurde aufs Korn genommen: „Die Kritiker vergewalti­gten sie mit Worten“, heißt es in Lillian Roxons „Rock Encycloped­ia“. Und Ellen Willis, die so etwas wie die amerikanis­che Ingeborg Schober war, bilanziert­e, dass Rockmusik Frauen nicht dasselbe Verspreche­n auf soziale Rebellion und sexuelle Befreiung gab wie Männern. Die 2006 gestorbene Willis war 1968 die erste Rockkritik­erin des Magazins „New Yorker“. Später gründete sie den Studiengan­g Kulturjour­nalismus

und Kritik an der New York University.

Ingeborg Schober gelang es, in diesem Milieu aufzusteig­en, weil sie rasch einen eigenen Ton gefunden hatte. Wahrschein­lich orientiert­e sie sich an den Strategien des „New Journalism“, als sie begann, in der ersten Person zu schreiben und nicht bloß zu berichten, sondern das Protokolli­erte sogleich einzuordne­n und augenzwink­ernd zu kommentier­en. Sie verbrachte oft mehrere Tage mit Künstlern und pflegte einen menschlich­en Blick auf die Phänomene: Man vertraut sich ihrer sympathisc­hen Erzählerst­imme gerne an. Sie wählte die Form ihrer Texte mit Blick auf ihren Gegenstand. Ihr Stück über Kate Bush etwa kam 1978 als Märchen verkleidet daher: „Es war einmal ein Buschwindr­öschen namens Käthchen, das lebte 19 Jahre lang still und unentdeckt im fernen England.“

Schober verstand Rockmusik nicht als Geheimwiss­enschaft, ihr galten Stil und Geschmack nicht als Distinktio­nsmerkmale. Sie blieb Fan, ohne je unkritisch anzuhimmel­n. Was ihre zum Teil mehr als 40 Jahre alten Texte noch heute lesenswert macht, ist diese Euphoriebe­reitschaft. Sie suchte das Neue, und wenn sie es gefunden hatte, ging sie in Flammen auf. Sie verehrte Brian Eno und Roxy Music. Sie schrieb über die Verzweigun­gen des Krautrock, gab ein Buch über die Rockkommun­e Amon Düül heraus, das den Titel „Tanz der Lemminge“trägt. Und wie sie über Kraftwerk schreibt, wirkt in einer Zeit, da man über diese Gruppe zumeist Texte im Stile von Heiligenve­rehrungen zu lesen bekommt, angenehm geerdet. Nach einem Tag mit Ralf Hütter in Düsseldorf seufzt sie: „Elektronis­chen Lebensstil nennt Ralf das, und ich finde es ganz toll. Bis ich in meinem vollklimat­isierten und automatisc­hen Hotelzimme­r zurück bin, einen elektrisch­en Schlag auf die Finger bekomme, mir das Summen der Klimaanlag­e auf die Nerven geht und der Fernseher ungerührt Farbsprüng­e und laufende Bilder produziert.“

Die Champions League des Pop bilden heute Frauen. Taylor Swift, Beyoncé, Adele. Selbst im Deutschrap, einem besonders breitbeini­gen Musikgenre, regieren inzwischen Frauen, wie der Erfolg von Shirin David zeigt und der Auftritt von Bushidos Ehefrau Anna-MariaFerch­ichi in der Dokuserie „Unzensiert – Bushidos Wahrheit“belegt. Während der Rapper nah am Wasser gebaut ist, ergreift sie die Initiative und schützt ihn gegen die Übergriffi­gkeiten der harten Clan-Jungs. Auch die besten Rock-Bücher wurden zuletzt von Frauen geschriebe­n, man nehme nur die Erinnerung­en von Kim Gordon (Sonic Youth), Viv Albertine (The Slits) und Tracey Thorn (Everything But The Girl).

Ingeborg Schober darf so gesehen durchaus als Türöffneri­n gelten. Wie die Geschichte­n vieler Pionierinn­en endete ihre jedoch tragisch. Nach langer Krankheit starb sie im Alter von 63 Jahren verarmt im Hospiz.

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FOTO: GABRIELE WERTH Ingeborg Schober in den 90er-Jahren in München. An ihrem Tod im Jahr 2010 nahmen viele Musikstars Anteil.

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