Düsseldorfer, was braucht ihr?
Junge Menschen machen sich Gedanken, wie sie die Bürgerbühne für die breite und diverse Gesellschaft attraktiver machen können.
DÜSSELDORF Veronika Gerhard dachte, sie fasst es nicht, als beim Bürgerdinner des Schauspielhauses jemand die Meinung vertrat, Düsseldorf gehöre denen, die im Grundbuch eingetragen seien. Atmosphäre, Wohlgefühl und Sound einer Stadt sollten sich demnach über den Besitz ergeben.
Dass Düsseldorf so nicht tickt, weiß Gerhard, obwohl sie die Stadt bisher die meiste Zeit über im Corona-Modus erlebt hat. Sie kam im Herbst 2019 ans Schauspielhaus und plant dort seither für die Bürgerbühne das Café Eden. Gerade hat Gerhard, die Soziologie, Philosophie, Literatur und Kunst studiert hat, ein neues Projekt für Menschen ab 16 Jahren ins Leben gerufen. Von ihnen möchte sie wissen: Wie stellt Ihr Euch Euer Düsseldorf vor? Was fehlt? Was braucht Ihr? Um ihre Visionen zu entwickeln, sollen die Teilnehmenden aus dem Vollen schöpfen können: Video, Performance, Text, Musik – der Vielzahl an Ausdrucksformen sind keine Grenzen gesetzt.
Die Bürgerbühne ist die dritte Sparte des Schauspielhauses, die alle Düsseldorfer einlädt, sich aktiv einzubringen: von sich zu erzählen, Theater zu spielen, die eigene Biografie auf der Bühne auszuloten. Das Café Eden – es diente zunächst geflüchteten Menschen in der neuen Heimat als geschützter Ort der Begegnung – charakterisieren die Theaterleute so: „Es ist Tausch- und Ratgeberbörse, ein Spiel-, Rummelund Klönplatz.“Ein Ort also, an dem über alles gesprochen werden kann, aber nicht muss.
„Kinoki Video“, wie das aktuelle Angebot heißt, leiten zwei Regisseure und eine Schauspielerin mit Migrationshintergrund, was gerne betont werden darf. Die Zusammenarbeit von professionellen Künstlern und Laien ist Kern des Montagsprogramms im Café Eden. Als Gerhard ihre Stelle in Düsseldorf antrat, entstammten 90 Prozent aller Teilnehmenden einem theaternahen und bildungsbürgerlichen, überwiegend deutschen Umfeld. Heute, eineinhalb Jahre später, kommen 80 Prozent aus der ganzen Welt.
„Natürlich ist Düsseldorf divers“, sagt Gerhard. „Es hat sich nur eben nicht im Schauspielhaus abgebildet.“Mit Kooperationspartnern wie der Diakonie, Jugendeinrichtungen und Sportclubs, die etwa in Garath und Unterbilk ansässig sind, ist es gelungen, Kontakt zur postmigrantischen Community aufzubauen.
Mittlerweile wird die Nachricht vom Café Eden und seinem im besten Sinne eigenwilligen Spielplan über die soziale Medien, vor allem aber über Mundpropaganda weitergetragen. „Aktuell haben wir einen enormen Zulauf“, sagt Gerhard. Die Notwendigkeit, sich derzeit nur per Video treffen zu dürfen, verstärkt das Bedürfnis der Menschen, Sehnsüchten, Gestaltungswünschen und Nöten ausdrücken zu wollen.
Wer bei Formaten wie „Kinoki Video“mitmacht, verpflichtet sich, drei Monate lang dabeizubleiben.
Mancher verlängert und fügt am Ende seine Probierstücke aus dem Café Eden der Bewerbung an einer Filmhochschule bei.
An dem ersten Treffen des neuen Projekts haben 18 Menschen zwischen 16 und 30 Jahren teilgenommen, darunter Männer und Frauen mit arabischem, afrikanischem oder türkischem Hintergrund und auch Deutsche. Fast alle leben in Düsseldorf und haben den Eindruck gewonnen, dass sich die Internationalität ihrer Stadt vornehmlich im Shopping- Tourismus- und Modekontext ausdrückt. „Da sind doch auch Gerresheim und Rath, die Stadtteile, in denen wir leben“bekam Gerhard zu hören.
Das Gros der Teilnehmenden, darunter Studierende und Auszubildende, gab an, sich seit der Kindheit für das Theater zu interessieren. „Aber sie hatten den Eindruck, dass Räume, in denen Theater stattfindet, nicht für sie gemeint sind. Es verunsicherte sie, dass dort niemand ähnlich aussieht wie sie, niemand ihre Muttersprache spricht oder für sie relevante Themen verhandelt“, sagt Gerhard.
Ein wichtiges Argument, sich an dem Projekt der Bürgerbühne beteiligen zu wollen, sei daher gewesen, dass die künstlerischen Leiter des Workshops, Mirza Metin, Hicran Demir und Ayse Kalmaz, einen Migrationshintergrund haben und mehrsprachig arbeiten. In den kommenden Wochen werden die Teilnehmenden zunächst mit dramatischen Texten arbeiten. Sie lernen, diese zu analysieren, um anschließend gemäß ihrer Façon eine Düsseldorf-Vision zu entwickeln. Ende Mai werden die Ergebnisse präsentiert, und Veronika Gehard hofft sehr, dass dies in Präsenz geschehen darf.