„Ich werde mich ins Leben zurückarbeiten“
Protokoll Tonhallen-Intendant Michael Becker lag mit Covid-19 in der Uniklinik. Jetzt wünscht er sich vor allem Normalität.
Nicht schon wieder! Für unsere Kinder war es ja auch schon der zweite Lockdown des Jahres. Den Vorteil, im Gegensatz zur Frühjahrs-Ausgabe wenigstens zur Schule zu „dürfen“, erkannten sie erst, als sie nicht mehr durften.
Am Abend des 28. Oktober meldeten sich bei mir Symptome. Müde wie selten komme ich mit Halsschmerzen zu Hause an und liege nahezu ununterbrochen eine Woche lang im Bett. Jede Form des Homeoffice wird mit Schüttelfrost bestraft. Streitende Kinder lassen den Puls rasen – und sie müssen erstmal streiten, um sich in der neuen Unfreiheit einzugrooven.
Positiv getestet. Als Einziger von uns sechs. Die Infektionsgemeinschaft löst sich auf und ich werde ignoriert. Aus Liebe. Gelegentlich siegt die Sehnsucht, dann steht Yan plötzlich in der Tür. Mit Maske und Taucherbrille. „Wollte Dir nur sagen, dass ich Dich lieb habe.“Das hilft. Die anderen können das anders verstoffwechseln. „Steht vor der Tür!“lauten Miyas SMS. Sie ist weg, und ich rette einen wunderschönen Selfmade-Muffin über die Schwelle.
Von Nami höre ich bald verminderte Akkorde und Vibratoübungen. Für ihre linke Hand waren die Lockdowns ein Segen. Yuni muss sich raus halten, weil sie negativ getestet trotzdem krank klingt. Und dass Sara, die jeden Tag an meinem Bett erscheint und dem Ganzen Rhythmus und Richtung gibt, weiterhin auf den Beinen steht, ist ein Wunder.
Die Situation war schon die denkbar unglücklichste: Mitten in der Debatte um die Sinnhaftigkeit der Schließung von Theatern und Konzerthäusern fängt sich ein Konzerthauschef Corona ein. Und auch noch der, von dem alle hören: „In Konzerthäusern infiziert man sich nicht!“Tut man auch wirklich nicht: Dank eines penibel befolgten Hygienekonzepts
kann sogar ein infizierter Intendant nicht beliebig spreaden. Er ist wie jeder Mensch im Haus infektorisch eine Insel. Ändert aber natürlich nichts am vorzeitigen Abbruch des Konzertangebots.
Am Tag 8, einem Freitag, sehe ich zum ersten Mal die Sonne persönlich wieder: Meine Familie musste zum Drive-in-Test an der Mitsubishi Electric Halle. Die Stufen aufs Dach sind so anstrengend, dass ich mich draußen erstmal auf die feuchten Plastikstühle setzen muss und spüre, wie es langsam kalt von unten kommt. Der Ausflug war fast schon das Tagesereignis.
Nicht für die anderen Mitbewohner – zum Glück. Trotz der eingeschränkten Radien haben wir Leben in der Bude. An diesem Tag, an einem Samstag, steht eine kleine Geschichte in der RP, sehr nett und zu dem Zeitpunkt auch noch richtig mit dem „milden Verlauf“.
Kurz danach fällt völlig unerwartet das zweite Tor ins Schloss. Am Sonntag (dem berühmten „Tag 10“) merke ich sogar selbst, dass etwas überhaupt nicht stimmt. Eine kleine Google-Einführung zum Thema Lungenentzündung sagt sehr deutlich, dass ich mir mehr eingefangen habe als nur eine Kurzatmigkeit. Ich lasse mich zur Uniklinik bringen und werde dort als eindeutiger Covid-19-Lungenentzündungs-Patient aufgenommen.
Es war ein Glück, dass ich hier gelandet bin. Keine Ahnung, als was ich mein Rasseln noch alles ausgegeben hätte. Bis zum zehnten Tag war sicher alles so wie es empfohlen wird: Wenn Sie sich nicht völlig unpässlich fühlen, bleiben Sie zu Hause. Aber wenn es eben gar nicht mehr geht, geht nur noch Krankenhaus.
In der Uniklinik wurde ich sehr schnell medikamentös stabilisiert. Vor allem die berühmten Trumpschen Steroide durfte ich bekommen. Seitdem bin ich auch sicher, dass ich die US-Wahlen gewonnen habe und habe gerade in Derendorf eine Neuauszählung beantragt.
Nach fünf Nächten in der Uniklinik fühle ich mich ganz ordentlich. Der Verlauf war definitiv nicht mehr leicht, aber die konsequente Behandlung hat im Hintergrund viele Risiken ausgebremst.
Die Sauerstoffsättigung über die Lunge liegt wieder eigenständig bei 95. Das ist ein normaler Wert. Der Puls ist erstaunlich niedrig. Das liegt aber auch an der sehr geringen körperlichen Anstrengung. Immerhin habe ich aber mein Buch weiter gelesen und mit den Lemon Twigs eine völlig schräge Indiepop-Band für mich entdeckt. Am Ende ging alles glimpflich ab.
Am Samstag sitze ich wieder gemeinsam mit der Familie am Frühstückstisch. Schlapp, aber glücklich. Ich hätte nicht erwartet, dass einem diese Normalität zum einen so schnell abhanden kommen kann, dass sie einem aber auch so wahnsinnig fehlen kann. Ich bin dem Team der Uniklinik unendlich dankbar. Die Professionalität kann man vielleicht voraussetzen. Aber der souveräne und immer menschlich freundliche Umgang jeder einzelnen Person hier im Haus spricht für einen guten Geist, der auch viel dazu beiträgt, dass Menschen hier gesund werden können.
Ich werde mich in den nächsten Wochen langsam in mein normales Leben zurück arbeiten. Ich freue mich, bald auch das Team in der Tonhalle wieder zu sehen, live Musik zu hören, mit den Kindern Hausaufgaben zu machen und mit meiner Frau einfach nur spazieren zu gehen. Das sind alles Situationen, die man für so normal und fast vernachlässigbar hält, bis sie einem abhanden kommen. Das Bewusstsein für den Moment ist etwas, das ich in diesen gut zwei Wochen gelernt habe. Ich wünsche mir sehr, dass es bleibt.
Protokolliert von Brigitte Pavetic.