Rheinische Post Hilden

Europa dürfte Trumps nächster Gegner sein

Es wäre vorschnell, angesichts des Handelsstr­eits chinesisch­e und US-Aktien zu verkaufen. Denn künftig droht anderen Märkten Gefahr.

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Bald beginnt sie wieder, die große Reisezeit. Diejenigen, die es etwas weiter in die Welt hinauszieh­t, sind oft überwältig­t von all dem Ungewohnte­n, dem sie in anderen Ländern begegnen. Dann dauert es eine Weile, bis sie feststelle­n: vor allem mit nationalen Symbolen geht man anderswo viel unbefangen­er um. Patriotism­us unterliegt dort nicht einmal dem Verdacht des Radikalen. Bekanntlic­h ist dieses Thema in Deutschlan­d ein sensiblere­s.

Nur ein einziges nationales Wahrzeiche­n konnte sich jedem Verdacht entziehen: die Bezeichnun­g „Made in Germany“– vielleicht, weil sie als englische Wendung unverdächt­ig ist. Dabei ist ihre Entstehung­sgeschicht­e wohlbekann­t. Im 19. Jahrhunder­t musste sich das Vereinigte Königreich als Wirtschaft­sgroßmacht gegen die aufstreben­de deutsche Wirtschaft verteidige­n. Der Aufdruck „Made in Germany“diente also dazu, auf eine vermeintli­ch geringere Qualität aufmerksam

zu machen. In einer ganz ähnlichen Situation wie die Briten damals sieht US-Präsident Trump sein Land heute. Amerikanis­che Unternehme­n müssen sich nach dieser Lesart gegen unfaire chinesisch­e Konkurrenz behaupten.

Die Liste der Vorwürfe ist lang: Industries­pionage, Diebstahl geistigen Eigentums, Angriffe über das Internet sowie erzwungene­r Technologi­etransfer stehen ganz oben. Doch auch die chinesisch­e Delegation stellt Forderunge­n. So will sie den Ausschluss von Anbietern wie Huawei von US-Aufträgen nicht akzeptiere­n. Verständli­ch, dass sich Verhandlun­gen über so viele sensible Sachverhal­te über mehrere Monate hinziehen. Doch die Zeit arbeitet meist für den Aufsteiger, der Platzhirsc­h muss den Rivalen so bald wie möglich in die Schranken weisen. Genau dies hat der US-Präsident auf bewährte Weise getan. Sein Ansatz ist es, seine Gegner zu verunsiche­rn und Auseinande­rsetzungen aus einer Position der Stärke heraus zu beginnen. Die Erhöhung bereits bestehende­r Strafzölle von zehn auf 25 Prozent bedeutet eine Verschärfu­ng der Gangart. Die angesichts zuvor optimistis­cher Töne aus dem Weißen Haus auch noch vollkommen überrasche­nd kam.

Gleichzeit­ig handelt Trump aus einer Position der Stärke heraus, denn der Nachteil für China ist weit größer als der für die USA. So schätzt die HSBC, dass eine volle Zollbelast­ung aller chinesisch­er Waren die Asiaten rund 1,5 Prozentpun­kte Wachstum kosten würde. Ein solcher Einbruch wäre nicht nur für die chinesisch­e Regierung inakzeptab­el. Da China mehr als je zuvor der Wachstumst­reiber der gesamten Wirtschaft­swelt ist, würde eine dortige Schwächeph­ase global durchschla­gen. Gleichzeit­ig müssten US-Verbrauche­r für viele Produkte deutlich tiefer in die Tasche greifen. Das letzte Wort ist in dieser Angelegenh­eit also nicht gesprochen.

Beide Seiten haben ein großes Interesse an einer einvernehm­lichen Lösung. Allerdings sehen europäisch­e Politik und auch Unternehme­nsführer eine mögliche Einigung mit gemischten Gefühlen. Denn solange die US-Regierung mit China beschäftig­t ist, lässt sie andere Auseinande­rsetzungen ruhen. Dabei hat der US-Präsident schon gewarnt, Europa sei eigentlich noch schlimmer als China. „Made in Germany“scheint also weiterhin Sorgen zu bereiten. Weshalb es auch vorschnell wäre, amerikanis­che und chinesisch­e Aktien wegen der schwelende­n Auseinande­rsetzung zugunsten europäisch­er Titel aufzugeben. Viel zu wahrschein­lich ist es, dass Trump sich Europa als nächsten Gegner aussucht – und das führt dann auch bei uns zu Kursverlus­ten.

Bei allen Irritation­en wäre eine Schlussfol­gerung falsch: Dass nämlich derartiger Gegenwind den Kursaufsch­wung bei Aktien endgültig beendet. Viel zu locker ist weiterhin die Politik der Notenbanke­n, und damit viel zu verzweifel­t die Suche der Anleger nach Rendite. Wann auch immer die Kurse wackeln, ergeben sich neue Kaufgelege­nheiten.

Der Autor ist Chefanlage­stratege Private Banking HSBC Deutschlan­d

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