Rheinische Post Hilden

Die Europawahl mausert sich

Höhere Beteiligun­g, mehr länderüber­greifende Themen, wachsendes Europabewu­sstsein: Eine reine Nebenwahl war das nicht mehr. Daher ist es fatal für Union und SPD, dass einer Mehrheit ihr Einsatz für Europa nicht reicht.

- VON DER FORSCHUNGS­GRUPPE WAHLEN

Bei der Wahl zum Europäisch­en Parlament sind Union und SPD in Deutschlan­d auf historisch­e Tiefststän­de gefallen, die Grünen werden mit einem Rekorderge­bnis erstmals zweitstärk­ste politische Kraft bei einer bundesweit­en Wahl. Die AfD legt zu, Linke und FDP bleiben schwach, die sonstigen Parteien verzeichne­n viel Zuspruch. Die Wahlbeteil­igung steigt bei einer ungewohnt starken europapoli­tischen Komponente der Wahl sichtbar an.

Verantwort­lich für die Unionsverl­uste und das Desaster der Sozialdemo­kraten sind Defizite beim allgemeine­n Ansehen der Parteien, bei der Bewertung von Regierungs­arbeit, Sachkompet­enz und Spitzenper­sonal. Zwar werden die Europa-Kandidaten von Union und SPD, Manfred Weber (1,4 auf einer Skala von minus fünf bis plus fünf ) und Katarina Barley (1,1), positiv bewertet, haben wegen ihrer geringen Bekannthei­t aber nur bedingt Zugkraft entwickelt. Die beiden Parteivors­itzenden Annegret Kramp-Karrenbaue­r (0,6) und vor allem Andrea Nahles (minus 0,2) bleiben schwach: Nur 22 Prozent der Befragten bewerten die CDU-Chefin und nur 16 Prozent die SPD-Vorsitzend­e als hilfreich für das Abschneide­n ihrer Partei. 38 Prozent sehen für die Union diese Hilfe in Angela Merkel, die beim Image (1,3 gegenüber 2,3 vor fünf Jahren) aber weit weniger überzeugt als bei der vergangene­n Europawahl.

Während 66 Prozent meinen, dass traditione­ll-konservati­ve Positionen in der CDU zuletzt eine „zu große Rolle“spielten, profitiere­n die Grünen von erheblich gewachsene­r Akzeptanz in der politische­n Mitte: Mit viel Reputation auch in anderen politische­n Lagern stehen die Grünen nach Ansicht von 52 Prozent der Befragten für eine „moderne, bürgerlich­e Politik“. Beim Parteianse­hen auf unserer Skala haben die Grünen mit 1,2 (2014: 0,2) die CDU (1,2; 2014:

1,7) eingeholt und die SPD (0,8; 2014: 1,5) sichtbar überholt; bei den Kompetenze­n im Bereich Klimaschut­z werden Union und Sozialdemo­kraten von den Grünen regelrecht deklassier­t.

Zudem wird die Arbeit der großen Koalition in Berlin deutlich schwächer bewertet (0,5; 2014: 1,3); speziell europapoli­tisch fühlen sich zudem weniger Wähler von Union oder SPD vertreten als vor fünf Jahren. 42 Prozent der Befragten kritisiere­n zu wenig Einsatz der Bundesregi­erung für ein starkes Europa („zu viel“sagen 13 Prozent, „gerade richtig“40 Prozent) – und das bei einer Europawahl, bei der die Politik in Europa für die Wähler erstmals wichtiger war als die Bundespoli­tik (56 zu 38 Prozent gegenüber 40 zu 54 Prozent vor fünf Jahren).

Flankiert von vielen auch europaweit wichtigen Themen wie Flüchtling­en, Klimawande­l, (Rechts-)Populismus oder Brexit interessie­ren sich jetzt 63 Prozent stark für die Wahl und 49 Prozent stark für Europapoli­tik (2014 sagten das 40 beziehungs­weise 33 Prozent). 71 Prozent (2014: 56 Prozent) halten inzwischen Entscheidu­ngen des Europaparl­aments persönlich für wichtig. Zwar sind nur 39 Prozent (2014: 26 Prozent) zufrieden damit, wie in Europa Politik gemacht wird. Doch mit 55 Prozent (2014: 32 Prozent) sehen so viele wie noch nie direkt vor einer Europawahl in der EU-Mitgliedsc­haft Vorteile für die Deutschen.

Gegenläufi­g zur proeuropäi­schen Grundstimm­ung in Deutschlan­d insgesamt sehen die AfD-Anhänger die EU-Mitgliedsc­haft eher kritisch, beklagen zu viel Einfluss der EU und fordern mehr nationale Eigenständ­igkeit. Für 63 Prozent der AfD-Wähler (unter allen Befragten sind es nur zehn Prozent) sind „die Rechtspopu­listen in Europa die Einzigen, die sich um die wirklichen Interessen der Bürger kümmern“. Dagegen sehen unter allen Befragten 80 Prozent im Erfolg europakrit­ischer, populistis­cher und rechter Parteien ein großes Problem für die EU.

Von allen unter 60 wählen gerade noch zwölf Prozent die SPD

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