Ein Mix aus Alt und Neu
Ein Gründerzeithaus in Derendorf wurde behutsam modernisiert. Dabei sollte die historische Substanz unbedingt erhalten bleiben.
Mehr als 40 Jahre lang stand Paul Eckert jeden Morgen um 4 Uhr in seiner Backstube. Wie schon sein Vater vor ihm. Aber wirklich geliebt hat er seinen Beruf nicht. Geliebt hat der Bäckermeister die Kunst, schon mit 20 Jahren kneteten seine Hände neben Teig auch Ton. So holte er nicht nur Brot und Brötchen aus dem Ofen, sondern Keramik in jeder nur denkbaren Form. Ein Gründerzeit-Haus an der Blücherstraße in Derendorf ist heute geprägt von dieser lebenslangen Leidenschaft.
Die historische Bausubstanz zu bewahren, soweit das möglich ist, und sie zu verknüpfen mit dem Wunsch nach modernem Wohnen und den Anforderungen des Brandschutzes – das war die Herausforderung für den Architekten Philipp Hamma. Ihm ist eine Kombination gelungen, die bereits die Fassade zeigt: Das Haus wurde 1890 gebaut, die Stil-Elemente der Zeit blieben erhalten, das Mauerwerk ist ziegelrot gestrichen, die beiden Eingangstüren (eine führte früher in die Bäckerei) aber sind neu – geschlossene, schlichte, weiße Flächen.
„Viele Monate war hier Großbaustelle, denn das gesamte Erdgeschoss musste kernsaniert werden“, erzählt Hamma. Die Kellerfundamente waren feucht, deshalb wurden alle Bodenbelege entfernt, die Fundamente freigelegt, getrocknet und versiegelt. Darauf wurde eine Fußbodenheizung installiert. Wo früher Backwaren über die Theke gereicht wurden, ist heute ein Gästezimmer mit einem wandfüllenden Regal für die Keramikkunst – Objekte und Gefäße in vielen Variationen. Dass in der Gründerzeit mit ausgeprägtem Streben nach Individualität gestaltet wurde, zeigt sich in zwei angrenzenden Räumen – im Schlafzimmer und in der Ankleide. Dort blieben zwei Stuckdecken mit prachtvoller Malerei erhalten – samt Patina. In der ehemaligen Backstube ist heute das Wohnzimmer, des- sen gläserner Kamin nimmt exakt den Platz des ehemaligen Backofens ein – so war der notwendige Abzug schon vorhanden.
Der Couchtisch daneben zeigt wiederum die Kunst des Bäckermeisters: Die Platte ist ein Puzzle aus kleinen Keramikfliesen. Draußen auf der Terrasse sitzt seine Frau Annegret Hunsmann unter einem Apfelbaum. In diesem Hinterhof verbinden sich wiederum Vergangenheit und Gegenwart: Eine alte Ziegelwand trifft auf einen Steinboden, der unterbrochen wird von kleinen Künstler-Fliesen, die sind ausnahmsweise nicht von Paul Eckert, sondern von dem Künstler- duo „Kelbassa’s Panoptikum“aus Oberhausen.
Der Entwurf einer Stahl-Pyramide, aus deren Spitze Wasser fließt, stammt von Künstlerfreund Hermann Focke. Für diesen Brunnen wird Regenwasser auf dem Dach gesammelt und in eine Zisterne geleitet. Zu diesem sprudelnden Zen- trum des Innenhofs setzt ein mächtiger Hibiskus einen blühenden Kontrast. Ein grünes Wunder, „den habe ich vor fast 50 Jahren als kleines Pflänzchen gekauft – und er lebt immer noch“, sicher auch deshalb, weil Annegret Hunsmann ihn jedes Jahr im Gästezimmer überwintern lässt – „das ist meine Orangerie“.
Mit Respekt vor der Vergangenheit wurde auch das Treppenhaus neu in Szene gesetzt: Wände, Stufen und Handlauf leuchten in Taubenblau und bieten den perfekten Hintergrund für schneeweiße Stuckrosetten. Mit elegantem Schwung geht es hoch in den zweiten Stock, wo ebenfalls der Name Eckert auf dem Klingelschild steht: Dort wohnen Margit und Michael, Neffe des Bäckermeisters, die ehemals drei kleine Wohnungen und Mansarden zu einer großzügigen Maisonette umbauen ließen – mit einer Dachterrasse.
Auf der unteren Ebene ist Platz für Schlaf-, Gäste- und Arbeitszimmer, jeder Raum bekennt Farbe – aber nur auf einer Wand – mal sanftes blau, mal mattes grün. Die obere Ebene baute Architekt Hamma zu einem Wohnraum mit Blick auf die üppig bepflanzte Terrasse aus und einer Küche, die mal nicht wie üblich offen, sondern ein geschlossener Raum ist. Zusätzliche Lichtspender sind zwei große Fenster direkt unter der Decke – auch optisch ein Clou. Ebenso wie der alte Dachstuhl, der freigelegt und weiß gestrichen wurde. Für Stabilität sorgt ein neuer Stahlträger, sichtbar und ebenfalls weiß. Damit schließt sich der Kreis in diesem Haus vom Erdgeschoss bis zum Dach: Das Alte wurde bewahrt, aufgefrischt und mit Neuem ergänzt – ein geglückter Mix.