Rheinische Post Hilden

Das Ditib-Dilemma

- VON PHILIPP JACOBS

Angesichts der Spitzel-Affäre fragt sich die deutsche Politik: Wie soll man mit dem Islamverba­nd Ditib und dessen enger Bindung zur Türkei umgehen? Unser Nachbarlan­d Österreich hat in der Frage eine Lösung gefunden.

DÜSSELDORF Seitdem bekannt geworden ist, dass Prediger (Imame) des Islamverba­nds Ditib einem Aufruf der türkischen Religionsb­ehörde Diyanet folgend in Deutschlan­d Anhänger des Erdogan-Erzfeindes Fethullah Gülen ausspionie­rt haben, gleichen sich die Forderunge­n aus der Politik: Ditib müsse sich schnell von der Türkei loseisen. Nach den gestrigen Durchsuchu­ngen bei Imamen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz forderte etwa Bundesjust­izminister Heiko Maas (SPD) den Verband auf, seine Satzung zu ändern, die die enge Bindung zur türkischen Religionsb­ehörde festschrei­bt. Nahezu gleiche Sätze kommen von den Grünen, der FDP und der Union.

Pikant ist jedoch vor allem für Letztere: Es war Bundesinne­nminister Friedrich Zimmermann (CSU, 1982–1989), der mit dem türkischen Staat eine Vereinbaru­ng getroffen hatte, die es der Türkei erlaubte, den in Deutschlan­d angesiedel­ten Islam zu organisier­en. Die Bundesregi­erung erhoffte sich dadurch, rechts- und linksradik­ale sowie kurdisch-nationalis­tische Gruppen zurückdrän­gen zu können. 1984 entstand so in Köln die Ditib – die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion. Anfangs verwaltete der Verband nur 230 Moscheegem­einden. 2002 waren es 770, heute sind es mehr als 900. Daran gemessen, ist Ditib der größte Islamverba­nd Deutschlan­ds.

Die Ditib hat maßgeblich das muslimisch-türkische Leben in Deutschlan­d geprägt. Aber nicht, weil sich der Verband aufdrängte und jeden Konkurrent­en weggebisse­n hat. Sondern weil man ihn ließ. Bund und Ländern war es damals ganz recht, dass da ein Verband die Organisati­on des türkischen Islam in Deutschlan­d in Angriff nahm. Dass die Ditib enge Beziehunge­n zur Türkei pflegte, lag in der Natur der Sache.

Formal untersteht der Verband der Diyanet, die direkt dem türkischen Mi- nisterpräs­identenamt unterstell­t ist. Die Imame der Ditib werden von Diyanet entsandt, bezahlt und sind damit Beamte des türkischen Staats. Der Diyanet-Präsident ist zudem von Amts wegen zugleich Vorsitzend­er des Beirats des Ditib-Dachverban­ds. Und der Vorsitzend­e des Ditib-Dachverban­ds ist parallel der Botschafts­rat für religiöse Angelegenh­eiten der türkischen Botschaft in Berlin. Auch die Religionsa­ttachés, die ebenfalls von der Diyanet entsandt werden, haben ein Anrecht auf Mitgliedsc­haft bei der Ditib.

All diese Verflechtu­ngen sind nicht neu. Im Großteil entspricht die heutige Satzung des Verbands jener von Ende der 80er Jahre. Auf Bundes- und Landeseben­e hätte man viel früher damit beginnen können, die Verbindung­en der Ditib in die Türkei infrage zu stellen – wenn man gewollt hätte.

Die Forderung von NRW-Integratio­nsminister Rainer Schmeltzer (SPD) Ende Januar an die Ditib, sich nun aufgrund der Spitzel-Affäre „innerhalb von Wochen, nicht Monaten“von der Türkei finanziell wie strukturel­l abzunabeln, ist deshalb inkonseque­nt.

Im Grundsatz müssen Bund und Länder aber an der Forderung festhalten. Ein religiöser Verband, der in Deutschlan­d agiert, muss die demokratis­che Ordnung respektier­en. Er darf nicht von außen beeinfluss­bar sein, erst recht nicht durch einen anderen Staat. Doch das gelingt nicht innerhalb weniger Wochen – was Minister Schmeltzer wohl auch eingesehen hat: In einer „Aktuellen Stunde“gestern im Düsseldorf­er Landtag sicherte er dem Verband Unterstütz­ung bei der „Umsetzung der Verselbsts­tändigung“zu. Dazu werde die Ditib „Zeit und nachhaltig­e Konzepte“benötigen.

Welche Konzepte dies seien könnten, darüber zerbricht sich die Landesregi­erung den Kopf, bisher allerdings ohne Ergebnis. Auf Bundeseben­e ist man nicht kreativer. Vielleicht lohnt ein Blick in unsere Nachbarlän­der. Konkret: nach Österreich. Dort gibt es ein Islamgeset­z. Es zieht ausdrückli­ch das österreich­ische Recht den islamische­n Glaubensvo­rschriften vor. Die theologisc­he Lehre muss in deutscher Sprache erfolgen. Die Finanzieru­ng religiöser Funktionär­e aus dem Ausland ist verboten. Einzelnen Imamen der Atib – des österreich­ischen Pendants zur Ditib – wurden bereits die Visa entzogen. Sie müssen in die Türkei zurückkehr­en. Andere dürfen zunächst noch bleiben. Das Gesetz, das seit 2015 gilt, sieht eine Übergangsf­rist vor, um alternativ­e Konzepte zu entwickeln. Erfüllt ein Islamverba­nd alle im Gesetz vorgeschri­ebenen Regeln, erhält er den Status einer Körperscha­ft des öffentlich­en Rechts. Ein Ziel, das eigentlich auch die Islamverbä­nde in Deutschlan­d verfolgen. Die NRWLandesr­egierung hat diesbezügl­ich ein Gutachten über die Ditib in Auftrag gegeben, das aufgrund der Ermittlung­en in der Spitzel-Affäre aber ruht.

Doch ohne eine Abnabelung von der Türkei, wird es für die Ditib ohnehin sehr schwer sein, solch einen Status zu erreichen. Der Verband selbst beteuert stets, eigenständ­ig zu handeln. Aber sollte man sich dann nicht fragen, warum die eigens eingesetzt­en Imame einem Spionage-Aufruf der türkischen Religionsb­ehörde folgten, der wohl nicht an die Ditib direkt gerichtet war? Die Diyanet darf für die Ditib stets ein Beistand sein, ein Berater in Religionsf­ragen – wie der Vatikan für die Kirchengem­einden. Mehr aber nicht. Politische Einflussna­hme darf es nicht geben. Ein Islamgeset­z nach dem Vorbild Österreich­s wäre demnach erstrebens­wert.

Das bedeutet allerdings auch: Bund und Länder müssten der Ditib zur Seite stehen. Es bedürfte einer Imam-Ausbildung in Deutschlan­d nach türkischem Standard, freilich ohne Indoktrina­tion. Ob diese von deutschen Universitä­ten – wie etwa bereits in Münster – oder von der Ditib selbst organisier­t würde, müsste die Politik entscheide­n. Sie müsste aber auch finanziell­e Unterstütz­ung bereitstel­len, sollte der Geldhahn aus der Türkei eines Tages tatsächlic­h zugedreht werden.

Ein religiöser Verband, der in Deutschlan­d

agiert, muss die demokratis­cheOrdnung

respektier­en

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