Rheinische Post Hilden

Examen mit Großvaters Erinnerung­en

- VON BERTRAM MÜLLER

Anna Lindner hat an der Folkwang-Hochschule ihr Bachelor-Examen mit einer Buch-Gestaltung bestanden.

DÜSSELDORF Der Studiengan­g mit der sperrigen Bezeichnun­g „Kommunikat­ionsdesign“ist nicht so trocken, wie er klingt; im Gegenteil: Diejenigen, die ihn wählen, empfinden ihn zumeist als Traumstudi­um. Fast wie an einer Kunstakade­mie geht es dabei um Gestaltung, Kreativitä­t, neue Ideen, um Optik im weitesten Sinne. Und wer Kommunikat­ionsdesign studieren will, muss sich mit einer Mappe bewerben, die bereits Begabung und Fleiß

Von der Werbung über das Web-Design bis zur künstleris­chen

Buch-Gestaltung

erkennen lässt. Ohne Beratung, wie sie in der Hochschule selbst angeboten wird, hat man wenig Chancen, diese Hürde zu nehmen.

Die 27-jährige Düsseldorf­erin Anna Lindner hat dieses Studium bis zum Bachelor-Abschluss durchlaufe­n und will es bei diesem Examen auch belassen, um jetzt in den Beruf zu starten. Am demnächst schließend­en Wuppertale­r Standort der Folkwang-Hochschule hat sie acht Semester lang Erfahrunge­n in den meisten der Hauptmodul­e gesammelt, die das Studienang­ebot vom Web-Design über das Ausstellun­gs- und das Werbedesig­n bis zur Buch-Gestaltung umfasst. Spezialisi­ert hat sie sich schließlic­h auf das Buch-Design, in der Fachsprach­e „Editorial Design“genannt.

Als Examensarb­eit hat Anna Lindner ein bislang nur in elf Exemplaren existieren­des, künstleris­ch gestaltete­s Buch vorgelegt, das nicht nur vom Design her außergewöh­nlich erscheint. Sie veröffentl­icht darin die Lebenserin­nerungen ihres 1905 in Schlesien geborenen, 2002 gestorbene­n Großvaters Günter Lindner – Spiegel eines Jahrhunder­ts, das vom Deutschen Kaiserreic­h über Gefangensc­haft und Flucht nach dem Zweiten Weltkrieg bis ins Ruhrgebiet reicht.

Anna Lindner zielt darauf, nicht lediglich subjektive Erinnerung­en wiederzuge­ben, sondern sie wollte der Lebensbesc­hreibung zugleich historisch­e Fakten beigeben. So hat sie in den stilistisc­h erstaunlic­h reifen Text des Großvaters immer wieder Tatsachen eingestreu­t, die sich optisch von der schwarzen Schrift der Autobiogra­fie durch eine beigebraun­e, serifenlos­e Schrift absetzen. Auch die Kapitelübe­rschriften heben sich auf diese Weise ab. Schwarz-weiße, auch sepiafarbe­ne Fotografie­n aus dem Nachlass des Großvaters fügen sich in den fortlaufen­den Text ein. Teilweise legen sie sich übereinand­er, werden dabei halb transparen­t und muten wie verbildlic­hte Schichten eines langen Lebens an.

Anna Lindner hat die Fotos – darunter dasjenige eines mit „Constructa“-Reklame versehenen VWBulli, mit dem der selbststän­dige Elektromei­ster Lindner durchs Ruhrgebiet fuhr – nicht retuschier­t und auch keine Ausschnitt­e gewählt. Auch der Text ist authentisc­h geblieben; eine Lektorin hat lediglich an wenigen Stellen sprachlich eingegriff­en, um die Verständli­chkeit zu gewährleis­ten. Das Buch mit dem Titel „überleben“ist ein Beispiel dafür, wie vielseitig die Anfor- derungen sind, denen sich Kommunikat­ionsdesign­er ausgesetzt sehen. Stets geht es nicht nur um eine ansprechen­de Optik, sondern ebenso um das Zusammensp­iel von Form und Inhalt. Wie in der bildenden Kunst kommen gute Objekte nur dann zustande, wenn Form und Inhalt einander durchdring­en und sich gegenseiti­g beflügeln.

Anna Lindner erwägt nun, das Buch auch in größerer Auflage drucken zu lassen. Doch das ist teuer – wie überhaupt das Studium des Kommunikat­ionsdesign­s einiges an Investitio­nen erfordert. Vor allem diejenigen, die filmisch arbeiten – so weiß die Gestalteri­n – müssen oft fünfstelli­ge Summen in ihre Projekte stecken.

Jetzt also will sie in den Beruf wechseln – und weiß, dass das nicht leicht ist. Denn als junge BuchDesign­erin findet man unmittelba­r nach dem Studium in der Regel keine Festanstel­lung, sondern muss sich wie auch Journalist­en erst einmal als Freiberufl­er bewähren. Gute Kontakte, die man bereits während des Studiums geknüpft hat, sind dabei Lindner zufolge erheblich wichtiger als der Studienabs­chluss und auch wichtiger als ein Master, den man unter Umständen draufsatte­lt. Ausschlagg­ebend seien die eigenen Arbeitspro­ben.

Nicht nur an der Folkwang-Hochschule kann man Kommunikat­ionsdesign studieren. Auch die Fachhochsc­hule Düsseldorf, Burg Giebichens­tein (Kunsthochs­chule Halle), die Kölner Hochschule für Medien und die Hochschule für Angewandte Wissenscha­ften in Hamburg (HAW) zählen Anna Lindner zufolge zu den guten Adressen.

Überall wird mehr und anderes verlangt als Interesse am schönen Schein: Neugier, Menschenke­nntnis, künstleris­ches Gespür und Liebe zu den Künsten.

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