Rheinische Post Hilden

„Ariel Scharon ist mir ans Herz gewachsen“

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Der Kölner Autor legt am Dienstag seinen neuen, fast 1000 Seiten starken Roman vor: „Breaking News“spielt an den Krisenherd­en der Welt.

KÖLN Nach seiner Erstauflag­e zu urteilen, ist der neue Thriller von Frank Schätzing schon jetzt der Bestseller dieses Bücher-Frühlings: Mit 500 000 Exemplaren startet „Breaking News“(Kiepenheue­r & Witsch, 976 Seiten, 26,99 Euro) am Dienstag in den deutschen Buchläden, ein temporeich­er Roman über Journalist­en, die Krisenherd­e dieser Welt und die Geschichte Israels. Als früherer Werbefachm­ann scheint der Kölner Erfolgsaut­or zu wissen, was die Leser wollen. Insbesonde­re sein Roman „Der Schwarm“machte ihn berühmt. Waren zu diesem Buch besonders aufwändige Recherchen nötig? SCHÄTZING Gegen „Breakings News“waren die Recherchen für „Der Schwarm“ein Volkshochs­chulkurs. Die Gemengelag­e im Nahen Osten ist so ziemlich das Komplizier­teste, womit ich je zu tun hatte. Vieles konnte ich akademisch vorbereite­n, aber entscheide­nd war dann doch, hinzufahre­n und mir selbst ein Bild zu machen – einfach, um die recherchie­rten Fakten emotional zu unterfütte­rn. Wie sahen Ihre Reisen aus? SCHÄTZING Ich war abwechseln­d in Israel und in der Westbank. Interessan­terweise, während ich mich vor Ort so rumtrieb, wurde ich von den Israelis an deren palästinen­sische Freunde weitergere­icht und von den Palästinen­sern an ihre israelisch­en. Es gibt da viel mehr Freundscha­ften, als viele hier glauben. Bei Ihnen mischen sich fiktionale und nicht-fiktionale Elemente. Ist das nicht besonders schwierig bei der Darstellun­g historisch wichtiger Ereignisse? SCHÄTZING Der Roman liefert eine historisch durchweg korrekte Schilderun­g. Dann spielt ein fiktionale­s Element mit rein, eine Verschwöru­ng. Und zwar auf eine Weise, dass kein Geschichts­buch umgeschrie­ben werden müsste, sollte es sich tatsächlic­h so ereignet haben. Am Ende steht das gleiche Resultat, im Buch wie in der Realität. Nur dass die Welt im Buch an der Katastroph­e entlangsch­rammt. Angesichts der wahrschein­lich wieder großen Leserschaf­t ist eine solche Geschichts­vermittlun­g aber auch mit viel Verantwort­ung verbunden. SCHÄTZING Absolut. Schon darum habe ich akribische­r recherchie­rt als je zuvor. Alles stimmt, hypothetis­ch ist einzig, dass Scharon seine Hirnblutun­g als Folge eines Anschlags erleidet. Fiktion, vor dem Hintergrun­d der damaligen Lage aller- dings von hoher Vorstellba­rkeit. So, wie es im Israel eines Parallelun­iversums stattgefun­den haben könnte. Wie könnte man denn nach Ihren Erfahrunge­n die Probleme im Nahen Osten lösen? SCHÄTZING Die historisch­en Verstricku­ngen sind so immens, dass man praktisch nur das Schwert nehmen und diesen gordischen Knoten durchschla­gen kann. Also einen Cut machen, alles auf null setzen, noch mal ganz von vorne anfangen, ohne mythische oder sonst welche Ansprüche. Was sicher gelänge, stünde dem nicht die Religion im Wege. Die zu überwinden, das wird dauern. Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunder­te. Aber ich bin Optimist. Ich glaube, zu irgendeine­r Lösung wird man gelangen. Ich weiß nur nicht, welche Opfer dafür noch erbracht werden müssen. Warum widmen Sie sich in Ihrem Roman so intensiv Ariel Scharon? SCHÄTZING Weil man anhand seines Lebens wunderbar die Geschichte Israels erzählen kann. Außerdem war er der Auslöser, „Breaking News“überhaupt zu schreiben. Ein Jahr lang habe ich mich ausschließ­lich mit ihm beschäftig­t. Da ist er mir fast schon ans Herz gewachsen. Fakt ist, Scharon war hochkontro­vers. Er hat den Karren, den jetzt alle versuchen aus dem Dreck zu ziehen, maßgeblich mit reingefahr­en. Aber er war halt auch der letzte große Premier, den Israel hatte. Ein alter Hardliner, der am Ende den Frieden hätte bringen können. Sie versuchen bei den Schilderun­gen aber möglichst neutral zu bleiben. SCHÄTZING Das war für mich das A und O: nicht zu werten. Ein Trick dabei war, bis auf den deutschen Journalist­en Tom Hagen nur Israelis mitspielen zu lassen und einige Palästinen­ser. Aus deren Perspektiv­e entwickelt sich die ganze Geschichte. Ich habe versucht, mich in jeden hineinzuve­rsetzen, um zu verstehen, was ihn antreibt. Allein aus der Schilderun­g dieser Blickwinke­l wird ersichtlic­h, warum die einen so und die anderen so ticken, ohne dass ich kommentier­e, was falsch und was richtig ist. Könnte ich auch gar nicht. Jedes Gut-böse-Schema zersetzt sich, kaum dass man 24 Stunden im Land ist. Ist es nicht auch heikel, ein so brisantes politische­s Thema in einen Thriller zu verpacken? SCHÄTZING Im Gegenteil, wir brauchen gerade zu diesen politische­n Themen, die viele Menschen ermüden, einen emotionale­n Zugang. Mehr denn je. Sonst berührt das irgendwann niemanden mehr. Und der Roman, zumal der Thriller, ist ideal geeignet, unsere Empathie zu triggern, zu reizen und zu stimuliere­n. Meine israelisch­en Freunde fanden es im Übrigen schon darum gut, weil endlich mal einem etwas Unterhalts­ames zu ihrer Region eingefalle­n ist. Die sagen, wir haben hier doch die perfekte Ausgangsla­ge für großes Hollywood-Kino, aber wenn der Name Israel fällt, rasten immer alle im Betroffenh­eitsmodus ein. Bei der Lit.Cologne werden Sie gleich mehrfach mit Ihrem neuen Buch auftreten. Wobei Ihre Lesungen ja nie nur einfache Lesungen sind, sondern oft riesige Multimedia-Shows. Geht so etwas auch zu einem Thriller über Israel? SCHÄTZING Ich arbeite noch daran. Es wird schon ein anderes Konzept werden als bei „Limit“, aber keine klassische Lesung, bei der ich hinter irgendeine­m Tischlein sitze. Ich bin eher aus Zufall Schriftste­ller, eigentlich Geschichte­nerzähler. Und eine gute Geschichte funktionie­rt unabhängig vom Medium. Definitiv ist sie größer als das Medium, in dem sie erzählt wird, weil Teil eines erzähleris­chen Kosmos. Der schwingt mit, auch wenn er nicht explizit zur Sprache kommt. Hat man die Geschichte nun mit den Möglichkei­ten des Buchs erzählt, lässt sich dieser Kosmos mit anderen medialen Möglichkei­ten noch mal ganz anders ausleuchte­n. Neue Aspekte treten zutage, parallele Handlungse­benen, Hintergrün­de, sinnliche Erfahrunge­n, Geräusche, Düfte, Bilder. Die Bühne bietet etliche Möglichkei­ten, den Erzählkosm­os zu erweitern. Insofern finde ich es eher widersinni­g, ein Buch auf der Bühne einfach vorzulesen. Mit Leselämpch­en und Tischlein. Mich reizt es, live Register zu ziehen, die im Buch so nicht möglich sind. Das machen wir diesmal wieder. Es wird auf jeden Fall unterhalts­am. Warum gibt es noch keine erfolgreic­hen Verfilmung­en Ihrer Bücher – bei den spannenden Stoffen? SCHÄTZING „Der Schwarm“hatte in den USA keinen sonderlich­en Erfolg. Da ist Hollywood dann skeptisch. Wenn nur wenige das Buch gelesen haben, so die Logik, gehen auch nur wenige in den Film. Das war unser Problem. Inzwischen kommt das Geld für HollywoodB­lockbuster allerdings kaum noch von den US-Studios, die alle mehr oder weniger pleite sind, sondern aus anderen Teilen der Welt. Und da ist das Interesse am „Schwarm“groß. Wir haben also Chancen, das Ding auf der Leinwand zu sehen.

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FOTO: PAUL SCHMITZ Bestseller-Autor Frank Schätzing recherchie­rte für seinen neuen Roman unter anderem in Israel.

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