Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
„Die Identität Borussias weitertransportieren“
Philip „Peppo“Hülsen spricht über seine neue Aufgabe als Mitglied des Aufsichtsrats, die Stimmung unter den Fans und die Werte des Klubs.
Philip Hülsen, Sie sind nun Mitglied im Aufsichtsrat bei Borussia. Fühlt sich das Fansein mit der neuen Rolle anders an?
Nein, eigentlich nicht. Natürlich erzeugt die Funktion Aufmerksamkeit, aber als Fan fühle ich mich nicht anders. Was ich aber gemerkt habe: Ich verspüre bei einem Spiel noch mal eine höhere Emotionalität, weil man so viele Zusammenhänge kennt, die im Herzen und im Verstand vereint werden.
Seit kurzem verfolgen Sie die Spiele teilweise im Anzug, auch das ist etwas Neues.
Beim ersten Spiel nach der Wahl habe ich einen Anzug getragen, da gab es auch ein gemeinsames Foto. Seitdem hängt mein Jackett beim Info-stand des Supporters Club (lacht). Mir ist es wichtig, immer die Raute auf der Brust zu tragen. Sicher werde ich jetzt eher etwas sportlich Schickes anziehen, weil ich es wichtig finde, eine gewisse Repräsentanz reinzubringen, aber ein Anzug ist für mich kein Muss.
Wo werden Sie denn in Zukunft häufiger anzutreffen sein: In der Kurve oder in der Business Lounge?
Mein Stammplatz ist in der Nordkurve im Block 16. Grundsätzlich ist es kein Problem, am Spieltag zwischen den Orten zu wechseln, das eine schließt das andere nicht aus. Mein Herz ist in der Kurve, da komme ich her. Natürlich gibt es Situationen, in denen ich es wichtig finde, im Business-bereich zu sein und dort mit Leuten in Kontakt zu treten, zum Beispiel aus anderen Vereinsgremien. Ich glaube auch nicht, dass mir das jemand krummnimmt.
Die aktive Fanszene hat sich dafür eingesetzt, dass Sie in den Aufsichtsrat kommen. Spüren Sie entsprechend auch eine hohe Erwartungshaltung Ihnen gegenüber?
Zuallererst galt es die Frage zu klären, ob es überhaupt möglich ist, dass ein Vertreter aus der aktiven Fanszene in ein Gremium bei Borussia kommen kann. Es gab vorher schon eine Kommunikation zwischen Verein und den Fans auf verschiedenen Ebenen. Aber die Nähe in die Gremien war nicht vorhanden.
Fehlte da aus Sicht des Klubs auch die Ambition, jemanden aus der Fanszene für ein Gremium zur Wahl aufzustellen?
Ich weiß nicht, ob man das als notwendig angesehen hat. Die Kurve kümmert sich zunächst auch mal um ihr eigenes Gewerk. Man hat das in der Vergangenheit gesehen: Die Nordkurve mischt sich nicht in alles ein, natürlich gibt es Spruchbänder und Gesänge, aber man möchte keine totale Einmischung in alle Komplexe. Das ist auch jetzt nicht das Ziel. Trotzdem ist in den vergangenen Jahren der Wunsch gewachsen, dass man gewisse Themen aus der Kurve in den Verein transportiert.
Letztlich wurden Sie auf der Mitgliederversammlung Ende April in den Aufsichtsrat gewählt, was waren Ihre Gedanken rund um den Abend?
Ich habe gedacht, die Anspannung würde nach der Wahl in mir abfallen. Aber tatsächlich ist sie kurz darauf angestiegen, weil man der Sache natürlich auch gerecht werden möchte. Ich habe einen sehr großen Support durch die Fanszene gespürt. Man muss aber auch sehen, dass es verschiedene Ansprüche an so eine Rolle gibt, um noch mal auf die Erwartungshaltung zurückzukommen.
Mussten Sie bei Ihrem Einstand den anderen Aufsichtsratsmitgliedern erklären, was Ultra-sein bedeutet?
Nein. Festlegen kann man eine Ultra-mentalität ohnehin nicht. Dass es grundsätzlich um einen sehr fanatischen Bereich geht und manche Themen für die breite Fanmasse nicht nachvollziehbar sind, ist klar. Aber ich denke schon, dass ein sehr großes Bewusstsein da ist, wie unterschiedlich die verschiedenen Gruppierungen unserer Fanszene sind.
Als Geschäftsführer der Jugendhilfe „De Kull“sind Sie es mitunter gewohnt, Lösungen zu finden, die Kompromisse erfordern. Das dürfte künftig auch bei Fanthemen der Fall sein.
Ich bin grundsätzlich immer für Diplomatie und dafür, dass man Gespräche führt und gegenseitig die Interessen abwägt. Das funktioniert natürlich nicht immer so, dass am Ende alle zu einhundert Prozent zufrieden sind. Ich spüre das bei „De Kull“auch: Man hat den Anspruch, ein guter Arbeitgeber zu sein, muss das Ganze aber auch ökonomisch betrachten. Das ist ein schmaler Grat und eine Herausforderung, mit der ich auch in meiner Rolle als Aufsichtsratsmitglied konfrontiert werden kann.
Was sind die ersten Eindrücke, die Sie aus den Sitzungen des Aufsichtsrats mitgenommen haben?
Ich habe gemerkt, dass die Menschen, die ich in den ersten Wochen kennengelernt habe, genauso Borussia-fans sind wie ich, wenn auch zum Teil auf eine andere Art und Weise. Aber im Aufsichtsrat haben wir auch Leute, die ihre Orientierung eher Richtung Nordkurve haben. Kurz nach der Wahl gab es eine konstituierende Sitzung, in der wir darüber gesprochen haben, wie wir uns in Zukunft in die Entwicklungen des Klubs mit einbringen wollen. Was ich sagen kann: Ich fühle mich sehr wohl in diesem Gremium und denke, dass man schon aufgrund der ganzen verschiedenen Profile und Kompetenzen der einzelnen Personen wahrnimmt, dass wir einen sehr guten Weg einschlagen. Der Rahmen der Sitzungen und die Inhalte sind natürlich vertraulich, da verweise ich auf unseren Aufsichtsratsvorsitzenden Michael Hollmann.
Im Interview mit unserer Redaktion hat Michael Hollmann gesagt, dass der Aufsichtsrat in Zukunft kritischer auf Borussia schauen will. Ist das aus Ihrer Sicht nötig?
Das kommt auf die Situation an. Es geht darum, dass wir es gemeinsam schaffen, den Borussiaweg mitzugehen, aber eben auch unsere Kompetenzen einbringen. Das ist eine Wertschöpfung, die für Borussia im Gesamten nur positiv sein kann.
Was sind die Herausforderungen, vor denen Vereine wie Borussia in den nächsten Jahren stehen?
Der Fußball befindet sich in einer interessanten Phase. Man trudelt zwischen einem Traditionsbewusstsein und dem Anspruch, modern und zukunftsträchtig zu sein. Ein Beispiel, das ich persönlich hinterfrage: Muss man sich immer mit England und der Premier
League messen? Das, was wir in Deutschland mit dem Fußball haben, ist gesellschaftlich, sozial und vom Unternehmertum her viel mehr wert als wenn ich mit unendlichen Geldmitteln, Stichwort Investoren, hantieren kann. Wenn wir sagen können, dass wir mit guter Arbeit, einem Traditionsbewusstsein und modernen Einflüssen auch erfolgreich sind, ist das – und da misst sich Erfolg nicht an Titeln – für mich der bessere Weg.
Wenn es um solche Themen geht, haben Sie als einer von sieben Aufsichtsratsmitgliedern mitunter nur einen geringen Einfluss auf die Entscheidung.
Sollte es konkret zu Themen kommen, muss man sprechen und Entscheidungen fällen. Da wird es dann eine genaue Position aus der aktiven Fanszene heraus geben. Diese Position gilt es dann zu transportieren, das ist meine Aufgabe und Verpflichtung. Andersherum werde ich die Dinge, die wir im Aufsichtsrat besprechen, auf einem diplomatischen Weg in die Kurve transportieren. Es gibt mit Sicherheit rote Linien, aber auch Kompromisse. Meine Herausforderung ist, das zu eruieren und dann zu kommunizieren. Für mich ist das wichtigste, dass wir als Aufsichtsrat eine gemeinsame Sprache sprechen – das hat etwas mit Vertrauen zu tun. Und darüber haben wir in der Szene auch klar gesprochen, ich habe gesagt, dass es in Zukunft Themen geben kann, bei denen die Fanszene nicht d’accord ist. Aber das gehört dazu.
Schauen wir auf die Fanszene. Die ist sehr heterogen. Wie schätzen Sie die Situation in der Fanszene im Moment ein?
HÜLSEN Noch aus Bökelbergzeiten ist die Gladbacher Fanszene sehr familiär. Aber auch da gibt es Generationswechsel,
die Szene verändert sich. Viele junge Fans orientieren sich eher Richtung Ultras. Die traditionellen Fanklubs haben auch Nachwuchs, aber der ist dann oft auch ultra-orientiert. Das ist ein wichtiger Entwicklungspunkt, damit müssen wir innerhalb der Fanszene verantwortungsvoll umgehen. Es gilt, miteinander zu sprechen und zusammen Entscheidungen zu treffen. Der Supporters-club hat es sich auf die Fahne geschrieben, eine Interessenvertretung aller Fans zu sein. Das bedeutet Diplomatie, das bedeutet Kompromisse zu schließen, um eine gemeinsame Sprache zu haben. Nehmen wir den Borussen-kodex: Das war ein großer Akt der Diplomatie. So etwas kann es nur geben, wenn alle Beteiligten an einem Tisch sitzen.
Fanszene haben, die etwas bewegen kann. Nun können im Sommer alle den Kopf freibekommen, da kann die EM helfen. Und dann geht es hoffentlich mit einem positiven Gefühl in die neue Saison.
Der Aufsichtsrat ist nicht nur durch Sie diverser geworden, sondern auch durch Dilek Gürsoy. Sie ist die erste Frau in diesem Gremium bei Borussia. Was kann das dem Aufsichtsrat bringen?
Noch Ende der 90er Jahre hatten wir im Stadion, insbesondere in der Nordkurve, ein ganz anderes Verhältnis aus Weiblichkeit und Männlichkeit, das hat sich mittlerweile zum Positiven verändert. Dilek Gürsoy bringt noch mal eine neue Komponente ein, vor allem als Medizinerin. Es ist gut, dass man aus verschiedenen Blickwinkeln auf den Klub schaut.
Steht Borussia auch vor der Herausforderung, den Nachwuchs für den Klub zu begeistern?
Sicherlich muss man dafür etwas tun. Bei „De Kull“haben wir zum Beispiel neben dem Jugendzentrum ja auch das Projekt „Junge Kurve“. Da ermöglichen wir Jugendlichen, Tageskarten für die Nordkurve zu bekommen. Grundsätzlich zweifeln wir nicht daran, dass Borussia nach wie vor ein Anziehungspunkt ist. Allerdings gibt es nicht mehr diese Romantik, dass Kinder mit dem Opa oder dem Vater ins Stadion gehen und dann zwangsläufig Fans sind. Vieles passiert heute eher über Freundeskreise oder soziale Medien. Dennoch: Borussia ist in der Stadt und in der Region sehr präsent, da funktioniert das oft noch nach alter Schule. Allerdings muss man im Blick haben, dass – und das merken wir in der Bolzplatzliga – es bei den jungen Menschen einen starken Spielerfokus gibt. Und wir sehen viele Trikots von Vereinen, die gerade erfolgreich sind. Aber noch mal: Die Strahlkraft Borussias ist regional auf jeden Fall da.
Worauf kommt es an?
Wichtig ist, die Identität Borussias weiterzutransportieren. Man muss ja nur ins Vereinsmuseum gehen, da erlebt man das sehr intensiv. Dann gibt es auch andere, Fanszene-fremde Wege wie E-sports, um Jugendliche anzuziehen. Und natürlich ist da der Kontakt über „De Kull“. Wir haben fast jeden Tag eine Schulklasse da, die einen Workshop im Bildungspark macht, wir haben Kontakt zu den Jugendlichen auf den Bolzplätzen. Was man hinkriegen muss: Die Strahlkraft über die Region hinaus zu erhalten.
Dazu trägt natürlich sportlicher Erfolg bei. Welche Hoffnungen haben Sie für die neue Saison?
Das drücke ich mal mit der Fan-seele aus: Ich finde es wichtig, dass wir in die neue Saison gehen mit einer Performance, die etwas verkörpert. Dass die Spieler sozusagen auch nonverbal zeigen, dass sie hinter dem Borussia-weg stehen. Daran arbeiten alle Protagonisten, das weiß ich. Es ist ja nicht so, dass der Borussia-fan nur Siege erwartet. Aber er will das Gefühl haben, dass alles für einen Sieg getan wird, selbst wenn man scheitert. Das muss das Team ausstrahlen.
Wie nehmen Sie die EM wahr?
Ich muss gestehen, dass ich etwas entfernt war vom Nationalteam. Aber die Verantwortlichen beim DFB haben es geschafft, sogar mich etwas zu triggern mit den „Major-tom-vibes“. Man spürt, dass eine Entwicklung da ist. Ich freue mich auf die deutschen Spiele und die EM, das ist mir lange nicht so gegangen. Und das sehe ich bei vielen Menschen. Ich hoffe, dass sich dieses gute Gefühl auch sportlich auswirken kann.