Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

„Cheferklär­er der Nation verkauft sich halt gut“

Der 34-Jährige ist Führungssp­ieler und der, der Rede und Antwort steht. Mit welchen Erwartunge­n er in die EM geht.

- DAS GESPRÄCH HAT GIANNI COSTA ZUSAMMENGE­FASST

Thomas Müller, was können Sie jetzt besser als 2010 bei Ihrer ersten Weltmeiste­rschaft?

MÜLLER Die Technik ist auf jeden Fall besser geworden, der linke Fuß. Ich konnte das alles auch schon damals, aber ich verliere heute deutlich weniger Bälle. Mittlerwei­le habe ich aber auch andere Aufgaben. In den vergangene­n Jahren ist mein Spiel immer mehr zum Ball gewandert, wie gesagt, es hat sich einiges auch in der Zeit getan. Auch beim FC Bayern. Wir haben 2020 Europa overpowert und nicht mehr wie 2013 noch unter Pep Guardiola übers Positionss­piel und viel Klein-kleinklein-klein-klein.

Wie soll das jetzt aussehen bei der EM? Power-fußball oder eher Klein-klein-klein-klein-klein?

MÜLLER Wir haben schon viele Typen im Team, die ihre Stärken im fußballeri­schen Bereich haben und weniger rein übers Körperlich­e kommen. Wenn man sich unsere beiden Außenverte­idiger ansieht, wenn man sieht, dass Toni Kroos zurückgeke­hrt ist. Wenn Kai spielt anstatt Fülle (Kai Havertz und Niclas Füllkrug, Anm. d. Red.). Wir haben aber auch die Möglichkei­t, die Gradlinigk­eit nachzulege­n. Also mit etwas mehr Risiko zum Tor zu kommen, mit weniger Schnörkel.

Wie hat sich Ihre ganz persönlich­e Rolle verändert – zum Cheferklär­er der Fußball-nation?

MÜLLER Cheferklär­er der Nation – das liegt vielleicht daran, dass ich manche Dinge besser bildlich beschreibe­n kann. Andere Spieler erklären auch, wie sie Dinge sehen. Mein Name ist halt bekannter in Deutschlan­d, deshalb verkauft es sich gut.

Sie machen es aber ja auch nicht schlecht.

MÜLLER Ja, natürlich, andere machen es aber auch nicht schlecht. Die Leser müssen ja, bevor sie lesen, oft erst einmal zahlen. Wenn dann ein Bild von einem zu sehen ist, den keiner kennt, wird die Bereitscha­ft dafür geringer sein, als wenn ich zu sehen bin. Ich sehe mein Konterfei oft bei Themen, die eigentlich nichts mit mir zu tun haben, aber mein Name wird verwendet und ich weiß warum, aber das hat nichts mit dem Inhalt zutun.

Aber es gibt Phasen in einem Turnier, in dem man eher Thomas Müller nach vorne schickt als einen anderen Teamkolleg­en.

MÜLLER Bestimmt, aber das hat wenig Einfluss darauf, wie wir dann die nächste Partie spielen. Da geht es um Unterhaltu­ng. Ich habe eine Qualität, Dinge auf den Punkt zu bringen.

Wie haben Sie sich als Mensch verändert?

MÜLLER Als Mensch habe ich mich überhaupt nicht verändert.

Sie haben Kroos angesproch­en. Lothar Matthäus hat gesagt, es sei der größte Fehler in der Geschichte des FC Bayern gewesen, ihn 2014 gehen zu lassen. Zustimmung?

MÜLLER Es ist natürlich im Nachhinein eine sehr einfache Aussage. Also Toni Kroos war schon immer ein überragend­er Fußballer, dass er diesen Weg nimmt bei Real Madrid, hat man jetzt nicht so voraussehe­n können, wie bei anderen Spielern. Als ich bei den Profis angekommen bin, hat vermutlich auch keiner gedacht, dass ich 15 Jahre ganz oben mit dabei sein kann. Hinterher ist es natürlich immer leicht. Ich hätte ihn schon gerne behalten. Aber es gehört mehr dazu, man muss Entscheidu­ngen treffen. Der Verein hat eben damals etwas anderes entschiede­n. So ist es in dem Geschäft.

Was macht Julian Nagelsmann als Bundestrai­ner anders als in seiner Zeit beim FC Bayern München?

MÜLLER Wir werden ja nach Ergebnisse­n bewertet. Grundsätzl­ich bin ich im Leben ein sehr großer Freund davon, etwas zu beschreibe­n und weniger des Wertens, weil das ist ja oft sehr undurchsic­htig. Das habe ich im Dressurspo­rt gelernt. Jedes Pferd bewegt sich auf seine Weise, bekommt eine Note, sieht aber anders aus. Es ist anders gut.

Zurück zu Nagelsmann.

Man kann das ehrlich gesagt inhaltlich fast gar nicht miteinande­r vergleiche­n. Es gibt ganz andere Voraussetz­ungen. Du kannst niemanden kaufen, du hast den Pool an deutschen Spielern, und mit denen musst du arbeiten. Du kannst dir nicht eine Mannschaft nach deinen Vorstellun­gen zusammenka­ufen. Vorteil: Du hast nicht nur einen 20er-kader, sondern hast vielleicht 50 Spieler, da kann man immer mal wieder Neues ausprobier­en. In der Nationalma­nnschaft hat man viel weniger Zeit. So ist alles von ihm viel konzentrie­rter.

Aber Nagelsmann selbst hat sich schon gewandelt.

MÜLLER Er ist Chef der ganzen Truppe. Da passt er sich natürlich seinem Ziel an. Was gestern nicht funktionie­rt hat, kann morgen schon wieder zum Erfolg führen. Fußball ist nicht so, machst du das, klappt es nicht, machst du jenes, klappt es auf jeden Fall. Das ist ja Käse. Fußball ist Innenpfost­en rein, Innenpfost­en raus.

Wie wichtig ist ihr Mannschaft­squartier in Herzogenau­rach?

MÜLLER Wenn du ein erfolgreic­hes Turnier spielst, dann werden hinterher alle Faktoren, die da mit reingespie­lt haben könnten, glorifizie­rt. Beim Misserfolg natürlich genauso. Das Homeground ist unsere Basis. Gut schlafen, essen, optimale Bedingunge­n. Ansonsten ist ja dieser Homeground geschaffen worden für Teams wie unseres. In den Zimmern kannst du nicht mehr machen als schlafen und dich waschen. Das ist auch bewusst so gemacht worden, dass die Gruppe immer wieder zusammenko­mmt. Du verbringst also deinen Tag immer in der Gemeinscha­ft.

Die Zimmer sind so spartanisc­h eingericht­et wie im Kloster?

MÜLLER (lacht) Ich war jetzt noch in keinem Zimmer in einem Kloster, deswegen kann ich das nicht vergleiche­n, aber von der Größe und von dem, was da ist, geht es wohl in die Richtung. Es gibt ein Bett und ein kleines Badezimmer.

Maxi Beier hat unlängst verraten, dass er überrascht davon gewesen sei, wie gut Sie an der Konsole in Fifa seien.

MÜLLER Tja, ich war auch mal jung und die Steuerung hat sich seit damals nicht grundsätzl­ich verändert. Und auch da geht einiges besser, wenn man das Spiel versteht. Dementspre­chend habe ich da wenig verlernt, auch wenn ich, zugegeben, nicht in Übung bin.

Gibt es ein Lieblingst­eam, mit dem Sie zocken?

MÜLLER Wir spielen natürlich schon mit den Top-teams gegeneinan­der. Man muss sagen, mit Manchester City kann man gar nicht so viel anfangen. Du brauchst Dribbler und natürlich Tempo, also an der Konsole noch mehr als in Wirklichke­it. Real Madrid ist tatsächlic­h nicht schlecht, der FC Barcelona ist auch nie verkehrt. Der FC Liverpool ist auch ganz ok.

Wie gut ist die Figur „Thomas Müller“in dem Spiel?

MÜLLER Ich war sicherlich noch nie eine ganz, ganz herausrage­nde Fifa-figur. Weil sich ja meine Skills außerhalb der gängigen Kategorien bewegen.

Wie müsste denn die Kategorie heißen, die ihre Fähigkeit am besten beschreibt?

MÜLLER Das weiß doch jeder. Wiederholt kluge Sachen machen. Oder besser noch: sinnvolle.

Haben Sie schon eine Veränderun­g in der Mannschaft festgestel­lt, nach dem Sie vor einigen Tagen einmal einen dezenten Hinweis hinterlegt hatten, dass mehr auf die Grammatik geachtet werden soll...

MÜLLER Nichts, überhaupt nichts. Das war ja ein Thema, was schon immer allgegenwä­rtig war. Es gibt da die Typen, wie Niclas Füllkrug, die aus Hannover kommen und das perfekte Deutsch sprechen, und dann gibt es halt andere Spieler, die das eine und andere Wort weglassen.

Real Madrid hat sich mit Kylian Mbappé verstärkt. Ein Transfer, der sie auf Jahre hinweg unschlagba­r macht?

MÜLLER Grundsätzl­ich ist Real Madrid immer ein Top-favorit auf den Champions-league-titel. Unabhängig von einzelnen Top-leuten wie Mbappé. Als Einzelspie­ler brauchst du immer auch ein Team um dich herum. Mit Paris hat er ja auch keinen Champions-leaguetite­l gewonnen. Fußball ist mehr als ein Unterschie­dsspieler. Man muss auch einmal sagen: Real macht kluge Transfers, wenn man das mit anderen europäisch­en Spitzenver­einen vergleicht, gibt es andere, die deutlich mehr Geld in den vergangene­n Jahren verpulvert haben.

 ?? FOTO: CHRISTIAN CHARISIUS/DPA ?? Thomas Müller versprüht fast immer gute Laune. Nach dem Training mit der Nationalma­nnschaft fährt er mit dem Fahrrad zurück.
FOTO: CHRISTIAN CHARISIUS/DPA Thomas Müller versprüht fast immer gute Laune. Nach dem Training mit der Nationalma­nnschaft fährt er mit dem Fahrrad zurück.

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